In eisigen Kerkern (German Edition)
seit Tagen nicht geduscht hatte, relativierte ihren Ekel und griff zu. Der Brocken hatte die Farbe von geronnenem Blut, schmeckte wie kalter Rauch mit Fleischaroma und kaute sich zäh und unverdaulich wie Rindenmulch.
„Danke“, sagte Nelli mit vollem Mund. „Schmeckt... ganz gut.“
Sepp war, das Messer noch in der rechten Hand, zum Fenster gewieselt und schaute durch die Gardine in Richtung Dorf.
„Suchst einen neuen Unterschlupf, ha?“, fragte er, ohne Nelli anzuschauen.
„Was? Nein.“
Sie schob das Schweineteil in den rechten Backen, um halbwegs verständlich reden zu können.
„Was ist denn mit deinem Fahrrad?“
„Kaputt.“
„Und jetzt bist du zu Fuß unterwegs. Richtig auf Wanderschaft wie die Handwerksburschen, gell, bloß dass du nix arbeiten tust.“
Er linste kurz zu ihr herüber, grinste sie an und schaute dann schnell wieder zum Fenster hinaus.
„Na ja.“
„Ist ja in Ordnung, ich arbeit auch nicht. Kannst hier eine Weile bleiben, wennst nix anderes findest, oben mit mir in der Hasenhütte.“
Er deutete mit dem Kopf hinter sich in Richtung Berg, ohne den Blick vom Fenster zu lassen.
„Hasenhütte?“
„Ein Schuppen, wo früher die Hasen drin waren. Hab ein großes Bett dort und die meisten Vorräte.“
„Wieso schlafen Sie da oben? Und was gibt’s denn draußen eigentlich zu sehen?“, fragte Nelli irritiert und stellte fest, dass er nicht kaute. Hat der den Speck im Ganzen hinuntergeschluckt? Auf einmal wusste sie, an was er sie erinnerte wie er da auf seinen kurzen O-Beinen stand: an einen riesigen Käfer mit wulstigem Körper, winzigem Kopf und kurzen, flinken Beinen.
„Ich schau bloß, dass die Gerda net kommt.“
Nelli war sofort alarmiert und sprang auf. Am liebsten hätte sie den Speck ausgespuckt und sich den Mund gespült.
„Die wollte wohl jetzt kommen?“
„Ich weiß net.“
„Wo ist sie denn überhaupt?“
„Ich weiß net.“
„Aber Sie erwarten sie?“
Er schüttelte den Kopf, wandte sich vom Fenster ab, ging zum Tisch, schnitt sich noch ein Stück Speck ab und aß es wieder ohne Brot. Diesmal passte Nelli auf, was in seinem Mund vor sich ging. Er kaute herum, während er das Messer auf dem Tisch ablegte und wieder zum Fenster ging, kaute immer weniger ausladend und hörte schließlich auf zu kauen, ohne geschluckt zu haben. Als habe sich der Speck verflüssigt und sei ihm von selbst den Schlund hinuntergelaufen.
„Du isst ja gar nix. Nimm dir selber was.“
„Danke. Kann ich Sie was fragen?“
„Wieso fragst denn nicht einfach?“
„Warum ist Gerda weggegangen? Hat sie denn überhaupt nicht gesagt, wohin?“
„Na.“
„Aber sie ist noch in der Nähe?“
„Ich denk schon.“
„Und wenn sie zurückkäme, dann...“
Er machte wieder die Kopfbewegung nach hinten.
„Dann bin ich nix wie weg in der Hasenhütte. Und wenn sie hochkommt, ab in Wald.“
„Ich versteh das nicht.“
„Da gibt’s nix zu verstehen. Die ist durchgedreht. Hat schweres Zeug nach mir geschmissen, eine Schaufel und einen Hammer und sogar das alte Pferdegeschirr. Wenn sie ein Messer gehabt hätt, weiß der Deifel. Ich pass lieber auf, wenn sie zurückkommt.“
„Aber wieso denn? Ist sie wegen der Sache mit Andi so in Rage?“
„Freilich. Sie wollt ja weiterhin oben am Pass arbeiten in der Wirtschaft, aber das geht jetzt nimmer.“
„Warum?“
„Weil der Neue sie nicht will. Der hat recht.“
„Also sucht sie sich woanders Arbeit?“
„Die kriegt ka Arbeit mehr, nirgends, und deshalb hat sie einen Hass auf die ganze Welt. Die treibt sich bloß rum. Schau lieber, dass du der nicht begegnest. Auf dich hat sie erst recht einen Hass, vor allem, seit das alles in der Zeitung gestanden hat.“
„Und was ist mit Ihnen?“
„Mit mir? Ich bin froh.“
„Worüber froh?“
„Dass sie weg ist. Die Fahrerei jeden Tag zwei Mal hinauf und wieder runter, das hatt ich schon lang satt. Hab das Auto verkauft und hab jetzt mei Ruh.“
„Also haben Sie und Gerda sich getrennt?“
„Na.“
Nelli ging es langsam auf die Nerven, dass sie ihm alles aus der Nase ziehen musste.
„Wie denn dann?“, fragte sie ziemlich genervt.
„Sie wartet aufn richtigen Moment.“
„Für was?“
„Dass sie mich abmurksen kann.“
„Was?!“
„Ich hab Geld gespart, auf der Bank in der Stadt. Der Hof war nicht immer so nieder. Meine Leut waren reich früher, die Reichsten im Tal. Und Gerda wollt schon immer an das Geld ran. Deshalb hab ich sie auch nicht
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