In eisigen Kerkern (German Edition)
geheirat.“
„Dann bringt es ihr aber doch auch nichts, Ihnen was anzutun.“
„Ich weiß net. Die ist hier aufm Hof gemeldet. Vielleicht denkt sie, das reicht zum Erben.“
„Bestimmt nicht. Und sie würde Sie doch auch schon deshalb nicht umbringen, weil die Polizei sie als Erste in Verdacht hätte.“
„Polizei, ph! Die hat hier im Tal nix zu melden. Außerdem hat die Gerda eh nix mehr zu verlieren. Die ist wie ein wilder Wolf. Oder mehr wie ein Bär, ein riesiger, ganz schwerer Bär, so ist die.“
Nelli merkte, dass sie schneller atmete. Ein wilder Bär. Genau das schien es gewesen zu sein, was sie oben am Gletscher angefallen und ihr Leben in der Luft zerrissen hatte. Ein Bär mit Händen und planvollen Absichten.
„Könnte es sein, dass...“, fing Nelli an, aber wusste dann nicht mehr, wie sie es ausdrücken sollte. Außerdem: Der käferartige Miniaturkoloss, der da so stur und ängstlich aus dem Fenster starrte und harmlos tat, auch der wäre mit seinen dicken Armen locker in der Lage, sie wie eine Puppe samt Zelt und Inhalt durch die Luft zu werfen.
„Was könnt sein?“, fragte er uninteressiert.
„Ich werde erpresst“, sagte Nelli. „Jemand schreibt mir Drohbriefe und will viel Geld von mir.“
Er sah kurz zu ihr herüber und dann wieder zum Fenster.
„Du schaust nicht aus als ob du viel Geld hättst.“
„Hab ich auch nicht. Aber wenn Gerda mich so sehr hasst und außerdem Geld braucht, es könnte ja sein, dass sie...“
„Was? Dass die dir Drohungen schreibt? Du spinnst ja!“
Er machte ein Geräusch das klang wie „Hapf!“, ein abfälliges Lachen.
„Wieso?“
„Die Gerda war ja nicht mal auf der Volksschul. Ihrn Namen kann sie so schreiben, dass man’s grad entziffern kann, aber das war’s schon. Gelesen hat die nie was. Die ist viel zu dumm um irgendwas zu machen außer bei der Ernte zu helfen oder Bier zu zapfen. Am Zapfhahn war sie gut und im Biermaßenschleppen.“
„Wer hat denn den Zettel draußen an der Tür geschrieben?“
„An der Tür hier? Das war ich. Ich kann gut lesen. Und schreiben auch. Die Gerda soll denken, ich wäre oben auf der Alm. Da kommt sie nicht hoch.“
Nelli dachte an das Gekritzel und die vielen Fehler und schloss ihn als Drohbriefschreiber aus. Trotzdem.
„Haben Sie ein Telefon hier?“
„Siehst du hier eins?“
„Aber im Dorf unten hat doch bestimmt jeder einen Anschluss. Bei wem könnte ich denn...“
„Ich glaub, der Herr Pfarrer hat eins. Der tät dich bestimmt auch telefonieren lassen.“
Nelli stand auf und schob den Stuhl unter den Tisch. Er machte keine Anstalten, vom Fenster wegzugehen.
„Dann versuch ich das mal.“
„Und, kommst danach wieder?“
„Nein, wohl eher nicht. Ach übrigens: Ich hab drüben in der Scheune Andis Motorrad gesehen.“
„Ich auch“, antwortete er, ohne sie anzuschauen.
„Und?“
„Was und?“
„Wie kommt das da hin?“
„Der Andi wird’s abgestellt haben.“
„Aber das ist doch... völlig unmöglich!“
„Wieso?“
„Na, weil er tot ist.“
Sepp zuckte mit den Schultern und starrte aus dem Fenster.
„Haben Sie denn gesehen, wie er es abgestellt hat?“
„Na.“
„Was dann?“
„Fahren hab ich ihn sehen.“
„Wo? Wann?“
„Im Dorf. Oder hoch zum Pass. Neulich erst, vorige Woche.“
Nelli schüttelte den Kopf.
„Aber... selbst wenn – warum sollte er das Motorrad ausgerechnet hier abstellen und zu Fuß verschwinden?“
„Ich weiß net. Vielleicht, weil hier niemand danach suchen tät.“
„Sie denken also wirklich, der Andi könnte noch leben?“
„Ganz sicher lebt der. Deshalb wundert’s mich ja, dass du hier rumspazierst. Der hasst dich doch noch mehr als wie die Gerda. Und wenn die sich zusammengetan ham, was ich fast glaub, dann tät ich, wenn ich du wär, schleunigst von hier abhauen so weit’s geht.“
Nelli war völlig durchweicht, als sie am Pfarrhaus ankam.
Erste dicke Tropfen waren schon bei ihrem Aufbruch gefallen. Der Aichinger hatte keine Anstalten gemacht, vom Fenster wegzugehen, also sagte sie nur „Servus“ und machte sich davon. Mitten auf dem Weg zwischen Bauernhof und Dorf begann es so richtig zu schütten. In solchen Fällen hatte sich Nelli immer untergestellt oder im Eiltempo ihr Zelt aufgebaut. Auf diesem Weg gab es keine Unterstand, und ihr Zelt war ja leider...
Jetzt ist jetzt, sagte sie sich und reckte ihr Gesicht trotzig in den kalten Regen. Der Pfarrer wird mir schon ein warmes Plätzchen anbieten.
Der
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