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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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schluckte ihren Ärger runter und fragte:
    „Was ist eigentlich aus der Gerda geworden?“
    „Die Gerda, die musste mit am meisten drunter leiden. Konnte hier überhaupt nimmer existieren ohne ihre Arbeit, sie musste das Dorf verlassen.“
    „Wohin ist sie denn?“
    Die Frau schielte sie misstrauisch von der Seite an und verschränkte die Arme.
    „Wer weiß das schon? Dahin, wo’s ihr besser geht.“
    „Und ist denn ihr Mann noch da?“
    „Der Aichinger hat seine Rente, und das Haus ist ja auch zu versorgen. Ein großes Gehöft drüben an der Almwiese, das gibt man ja doch nicht so leicht auf, auch wenn’s nimmer in Betrieb ist.“
    „Aichinger, aha. Die Almwiese ist wohl in die Richtung da?“
    Nelli zeigte zur Dorfmitte an der Kirche vorbei zum gegenüberliegenden Hang.
    „Sagen Sie mal, wieso interessiert Sie denn das alles so ausgiebig? Wo kommen Sie überhaupt her, und was wollen Sie da bei uns?“
    „Urlaub machen“, log Nelli. Sie bekam es langsam mit der Angst zu tun. Die Dorfgemeinschaft hier kam ihr vor wie ein einziger Andi-Familienclan, jederzeit bereit, den vor aller Welt so bitter Verleumdeten zu rächen. Und sie, das „Luder“, wagte es nun auch noch, sich hier herumzutreiben, die Leute auszuhorchen, an Andis vorzüglichem Ruf zu kratzen und dem Tal zu schaden.
    „Ich glaub, Sie gehen jetzt lieber“, sagte die Frau, plötzlich feindselig geworden. Nelli sah ihr an, dass sie sich fragte, ob sie nicht zu viel verraten haben könnte. Auch sie hatte nicht in einer Art über Andi geredet als sei er tot und als Leiche auf Wanderschaft.
    „Danke für Brot und Milch. Auf Wiedersehen.“
    Die Frau sagte nichts mehr, aber sah ihr hinterher, bis Nelli auf dem Dorfplatz hinter einer Hausecke verschwunden war.
     
    Das Häuserrund um die Kirche lag schön in der Morgensonne, ein paar alte Leutchen waren mit Einkaufsnetzen unterwegs. Offene Geschäfte sah Nelli keine. Ein ausgestorbenes Schaufenster prangte neben einem Treppenaufgang, aber es war nicht mal mehr ersichtlich, um welche Art von Geschäft es sich gehandelt hatte. Nelli bekam ihre Zweifel, ob es wirklich der Autobahntunnel und jetzt die Mordgeschichte war, was Touristen fernhielt – oder nicht eher die Verschrobenheit der Leute und die ziemlich traurige Verlorenheit des Dorfes.
    „Zum Aichinger-Hof?“, fragte Nelli eine alte Frau, und die schwenkte, den zahnlosen Mund halb geöffnet und unverständliches Zeug murmelnd, ihren Stock in die Richtung der Almwiese, auf die Nelli zuhielt.
    Und wenn Gerda nun doch da war? Vielleicht auf Besuch von da, wo immer sie jetzt auch lebte und offenbar Arbeit gefunden hatte? Ihr wollte Nelli so wenig begegnen wie Andi. Obwohl sie natürlich genau aus diesem Grund hier war. Sie musste mit Gerda reden, auch wenn ihr Herzschlag sich schon beim bloßen Gedanken an Andis aggressive, bullige, stiernackige Thekenkraft heftig beschleunigte. Noch nie im Leben war Nelli im Polizeigriff brutal abgeführt und regelrecht rausgeschmissen worden vor einem ganzen Lokal voller neugieriger Blicke. Was Gerda ihr da angetan hatte, ohne eigentlich einen Grund zu haben, würde Nelli nie vergessen – auch wenn es so scheußlich war, dass sie es vermied, überhaupt daran zu denken.
    Und dann dieser Ausbruch am Abend, als sie mit ihrem Cordhut-Mann an Nelli vorbeigefahren war, das Geschrei und das wütende Faustschütteln. Gerdas unmenschlich verzerrte Fratze durchs Autofenster. Vor ihr, das stellte Nelli erstaunt fest, hatte sie selbst jetzt noch mehr Schiss als vor Andi, dem freundlichen Wirt, der sie vor Gerdas Attacken sogar in Schutz genommen hatte.
    Nelli merkte, dass sie langsamer geworden war und schließlich stehen blieb. Der Blick war jetzt frei über die Straße auf das Aichinger-Gehöft, das zwei steile Feldweg-Serpentinen entfernt zaunlos von Wiesen umgeben über dem Dorf lag. Auch von Weitem war zu erkennen, dass das uralte, geduckte Gebirgshaus nicht im besten Zustand war.
     
    Völlig verwahrlost, das war der Eindruck, den Nelli bekam, als sie davorstand. Der Eindruck wurde verstärkt durch eine dunkle Wolke, die sich auf den letzten Metern von Nellis Aufstieg vor die Sonne geschoben und die Wärme verschluckt hatte. Auffahrt und Vorplatz des Hauses bestanden aus festgestampfter Erde – eine Mondlandschaft aus Steinen, Löchern und Pfützen. Leere, teils zerbrochene Flaschen waren verstreut und alte Bretter, aus denen die Nägel herausstanden. Vom Balkon hingen die Geländerlatten davon, neben dem Eingang

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