In eisigen Kerkern (German Edition)
bereit, das herumschnüffelnde Luder zu empfangen?
Nelli berührte das Vorhängeschloss zaghaft mit den Fingerspitzen. Kühl fühlte sich das an. Ganz normal. Es ließ sich ganz leicht aushängen. Ließ sich entriegeln, ließ sich entriegelt zurückhängen. Die Tür ließ sich aufziehen und quietschte nicht mal.
„Hallo!“
Nelli klopfte mit aller Kraft an das rissige alte Holz der Tür, bis ihr die Knöchel wehtaten.
„Ich komme jetzt mal rein.“
Mit einem Schritt über die granitene Türschwelle war sie in einem kühlen, dunklen, niedrigen Hausflur. Ein Gewölbe wie aus dem Mittelalter. Grobe graue Wände. Eine Milchkanne stand direkt neben dem Eingang, daneben ein lieblos abgestelltes Paar Gummistiefel. Rechts führte eine Kellertreppe in unbekannte, unbeleuchtete Tiefen. Links eine Tür, weiter hinten noch eine.
„Darf ich hereinkommen?“, rief Nelli und sah durch den Türspalt, dass es sich um die Küche handelte. Schale Essensgerüche schlugen ihr entgegen. Kalte Dünste, staubige Luft. Hier schien seit Langem niemand mehr gewesen zu sein. Offenbar suchte sie am falschen Ort.
„Mit wem redst du eigentlich?“
Nellis Schreck war so allesbeherrschend, dass sie das Gefühl hatte, an ihr bisheriges Leben schließe sich, durch einen haarfeinen Riss in der Wirklichkeit getrennt, nun ein neues, ganz anderes Leben an. Wie ein elektrischer Schlag war das, kalt und hart ihren Körper erschütternd und Schweiß aus allen Poren treibend.
Hinter ihr stand jemand, der kleiner war als sie und damit nicht Andi und nicht Gerda. Das wusste sie, ohne sich umgedreht zu haben. Jemand stand da, der keine Bedrohung für sie darstellte, das sagte der Klang der Stimme.
Bisher hatte Nelli sich bei solchen Einschätzungen immer getäuscht.
„Ich wollte schauen, ob jemand hier ist.“
Ganz langsam drehte sie sich um.
„Da hast Glück, ich komm grad zurück.“
Nelli sah einen braunen Cord-Hut und darunter ein aufgeschwemmtes, rotes Gesicht ohne Hals auf kurzem, kräftigem Körper mit zwei aktiven Stummelbeinen.
„Sie sind Gerdas Mann.“
„Naa, bin ich net.“
„Aber ich hab Sie mit...“
„Ich weiß schon noch. Aber wir ham bloß zusammengelebt, ohne Heirat. Und jetzt ist sie sowieso weg.“
„Wohin denn weg?“
„Jetzt geh erst mal durch in die Küche, wenn du reden willst.“
Mit angedeuteten Schubsbewegungen drängte er sie in den niedrigen Raum. Eigentlich war der gar nicht so unfreundlich wie erwartet, dachte Nelli. Ganz anders als die anderen hier im Dorf. Auf seine Art sogar zuvorkommend, er rückte ihr einen Stuhl am Küchentisch zurecht.
„Seit wann ist Gerda denn weg?“
„Seit zwei Wochen etwa. Willst Butterbrot mit einem Trumm Wurst? Schwarzgeräuchertes? Speck hätt ich da.“
Bei dem Wort Wurst und dem Gedanken daran knurrte Nellis Magen so laut auf, dass der Gerda-Mann es hörte. Er lachte hechelnd tief aus seinem voluminösen Brustkorb, der viel zu groß war im Verhältnis zu Armen und Beinen, und ging zu einem Schrank in der Ecke des Raumes. Nelli dachte an Brot und Milch, die sie in ihren Schlafsack eingeschlagen hatte wie in einen überdimensionalen Beutel. Trotz ihres grollenden Hungers hatte sie bisher nicht mal dran gedacht, davon zu frühstücken.
„Bittschön!“
Er stellte einen Teller mit einem klobigen Stück Speck auf den alten Holztisch und schnitt einen Kanten Brot ab, was selbst ihm mit seinen Kräften schwer fiel, weil entweder das Messer stumpf war oder das Brot prügelhart oder beides.
„Ich bin der Sepp. Und du bist die Nelli, stimmt’s?“
„Stimmt.“
Nelli betrachtete die beiden versteinerten Brocken auf dem Teller, an dem noch alte Essensreste klebten, und der Appetit verging ihr. Hauchfein geschnitten und mit frischem Brot wäre das bis zur Unkenntlichkeit geräucherte Stück Schwein vielleicht genießbar gewesen.
Als stumme Aufforderung packte Sepp den verhutzelten Batzen mit der linken Hand und schnitt zwei mundgerechte Brocken ab. Einen reichte er Nelli, während er sich selbst den anderen zwischen die Zähne steckte.
Nellis Blick wurde von den schwarzgeränderten Fingernägeln angezogen. Jede Rille der Fingerhautlinien trat durch den Dreck darin deutlich sichtbar hervor wie ein Fingerabdrucknegativ. Aus dem schalen Gemisch alter Küchengerüche und dem Räucherfleischduft drangen jetzt auch die Körperabgase des kleinen Mannes zu ihr durch, ein ekliges Gemisch, bei dem der Schweiß nur ein Bestandteil war.
Nelli dachte daran, dass sie selbst
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