In eisigen Kerkern (German Edition)
denn es war ihr Zuhause, und sie war ein Kind, aber leider war sie das immer noch. Sie würde nicht gehen. Nelli würde sich stellen müssen.
Monika stieg auf den Stuhl. Sie streckte sich zu einem Rohr, das an der Kellerdecke entlang lief, schlang irgendwas darum herum, etwas Rot-Schwarzes, und knotete das andere Ende zu einer Schlinge.
Zu einer Schlinge!
Nelli stieß ihre Hand in die Jeanstasche, riss den Schlüssel heraus, wollte ihn ins Schlüsselloch rammen, verfehlte es, rutschte mit dem Schlüssel an der Tür entlang, stocherte ums Schlüsselloch herum, traf endlich, schloss auf.
Als sie hinaus rannte, hing Monika schon in der Schlinge. Sie war vom Stuhl gesprungen, hatte sich nach vorne geworfen, das Farbband war straff um ihren Hals gespannt – aber ihre Zehenspitzen berührten den Boden.
Eine Schein-Selbsthinrichtung.
Nelli begriff die Täuschung und war so abgelenkt, dass es ihr auf dem glitschigen Löschschaum, der überall am Boden klebte, die Füße wegzog.
Sie schlug auf die Knie, schaute rasch auf und sah Monika sich selbst die Schlinge über den Kopf ziehen.
„Alles halb so schlimm“, sagte sie mit ihrer Kleinmädchen-Stimme. Ihr Hals war rot-schwarz verschmiert. Sie stieg vom Stuhl und reichte Nelli eine rot-schwarze Hand, um ihr aufzuhelfen. Nelli ignorierte sie und stemmte sich selbst auf die Beine.
„Und jetzt?“
Monika schob schweigend den Stuhl an die Wand, packte den Feuerlöscher, der daneben gestanden hatte, am Griff, hob ihn in Gebrauchshöhe und zielte mit dem Schlauch auf Nellis Gesicht.
„Jetzt gehen wir da hinein und bringen es zu Ende.“
Monika deutete mit dem Schlauch und einer Kopfbewegung in Richtung des Kellers, in dem sie zu dritt eingesperrt gewesen waren. Die Metalltür stand halb offen. Das Licht brannte.
„Woher hattest du die Glühbirne?“, fragte Nelli.
„Ich bin oben gewesen, hab mich ein bisschen umgeschaut und meine dringendsten Bedürfnisse befriedigt. Vor allem hab ich meinen Durst gelöscht.“
„Aber die beiden... Ich bin von Schreien aufgewacht.“
„Als ich wieder herunterkam, war der Dicke noch mal wach geworden. Ich hatte nicht richtig getroffen. Dazwischen war viel Zeit. Hättest du nicht so tief geschlafen, wärst du jetzt frei.“
Monika lächelte, als sie Nellis Gesicht sah, und ergänzte: „Oder auch nicht. Ich hatte natürlich oben zugesperrt. Aber eine gewisse Chance hättest du gehabt.“
„Die hab ich jetzt auch. Ein Feuerlöscher ist keine Pistole.“
„Täusch dich da mal nicht.“
Sie schielte lächelnd auf die beiden Toten, ließ ihr Lächeln ausklingen und wiederholte ihre Simultan-Geste mit Lösch-Schlauch und Kinn.
„Bitte.“
Nelli hörte ein leises Stöhnen aus dem Kellerraum dringen. Das war es letztlich, was sie veranlasste, auf die Metalltür zuzugehen und in den Raum hineinzusehen.
„Töte sie!“
Nelli war im Begriff gewesen, sich zu bücken, um sich die wässrigen Wunden an den Unterarmen und Händen Fiona Herolders anzuschauen, und erstarrte in der Bewegung.
„Ich hör wohl nicht richtig, Monika!“
„Du hörst schon richtig. Tu es einfach. Das ist es, was ich von dir will.“
Monikas Blick war undurchdringlich.
Nelli schaute hinunter zu der ohnehin schon halbtoten Reporterin. Sie lag auf der Seite auf dem nackten Kellerboden. Ihre Hände waren mit Schreibmaschinen-Farbbändern an die Fußgelenke gebunden, so dass sie unnatürlich nach hinten gekrümmt dalag. Monika hatte ihr irgendwas in den Mund gestopft, das ihre Backen ausbeulte, und es mit weiteren Farbbändern fixiert, die mehrfach um den Kopf gewickelt und verknotet waren.
Nelli wollte etwas fragen, aber ein schwellendes raues Gefühl im Hals würgte sie ab.
„Und wie...?“
„Das überlass ich dir. Du kannst sie zum Beispiel erdrosseln. Ich kann dir aber auch mein Taschenmesser geben. Oder, wenn du es dir leicht machen willst, halt ihr einfach die Nase zu. Mir egal. Hauptsache, am Ende ist sie tot.“
Nelli schüttelte den Kopf und schluckte den Kloß im Hals hinunter.
„Ich wollte fragen: Und wieso?“
„Wieso?“, wiederholte Monika verduzt. „Du fragst mich allen Ernstes, wieso?“
Nelli schaute sie an und dachte: Wieso hab ich nichts gemerkt? Sie muss in meiner Gegenwart die Schwelle zum Wahnsinn überschritten haben, irgendwann in den letzten Monaten, und mir ist nicht das Geringste an ihr aufgefallen. Ein paar Aussetzer, gewiss, Merkwürdigkeiten, zusammenhanglose Bemerkungen, peinliche
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