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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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geschrieben wurde. Es ist ja nicht nur das Zusammensein mit dir gewesen, sondern dass ich nicht wusste, wie es weitergehen soll, wohin das führt. Meine Zukunftsperspektiven, du weißt schon...“
    „Ach so. Dann muss ich das ganz anders bewerten, warte mal, ich zitiere: 17. Oktober: Heute spricht Monika wieder mit dieser Stimme, einer künstlich-fröhlichen Kleinmädchenstimme. Sie will zeigen, dass sie besonders gut drauf ist, gut gelaunt und mir zugetan.“
    „Monika...“
    „Warte, es geht noch weiter: Das hat sie schon als Kind gemacht, und ich habe es damals schon gehasst wie die Pest, aber jetzt ist es einfach unerträglich. Sie geht mir so auf die Nerven. Alles in mir möchte nur noch davonlaufen. Aber wohin? Und ist es nicht meine moralische Pflicht, das durchzustehen? Muss ich mich an ihre Marotten einfach nur gewöhnen? Oder ist es nicht so, dass sich die Abneigung niemals ändert und eher noch zunimmt? Genau diese Gefühle hatte ich doch schon einmal, genau so. Wie hatte ich das nur vergessen können? Sie ist nun mal, wie sie ist. Ich bemühe mich, freundlich zu bleiben, auch wenn mich ihre Art noch so abstößt, und ich merke genau, dass sie auch nur freundlich tut und mich am liebsten aus dem Haus hätte. Es wäre eine Erlösung für uns beide, einfach zu gehen. Aber dann wäre meine Rückkehr und alles, was ich durchgemacht habe, sinnlos gewesen. Ich darf nicht so schnell aufgeben. Zitat Ende.“
    Nelli stand an der Tür und spürte, wie ihr Gesicht vor Scham rot angelaufen war. Zugleich war sie erleichtert. Jetzt war es raus. Es war nur eine Stelle von vielen dieser Art, und Monika kannte sie also alle. Damit gab es keinen Grund mehr, sich zu zwingen und zu beherrschen und zu verstellen. Keinen Grund mehr, durchzuhalten. Es war vorbei. Aber vielleicht lag darin auch der Sinn ihrer Rückkehr. Es war nichts mehr unausgesprochen. Es gab keine Aussicht mehr, jemals irgendwas zu kitten.
    „So“, sprach Monika nach einer gewichtigen Pause weiter und hatte eine andere ihrer Stimmen aus ihrem künstlichen Stimmen-Reservoir hervorgeholt, die Große-Mädchen-Stimme. Die ich-bin-ja-so-vernünftig-Stimme. Nelli biss sich auf die Lippen. Es genügte schon ein Wort von ihr, und Nelli wusste, was inhaltlich folgen würde.
    „So, nun sagst du also, das ist nicht wörtlich zu nehmen. Was könnte das dann bedeuten, wenn da steht, ich zitiere: ...ihre Art stößt mich ab...?“
    „Das ist genau die Art, die ich meine.“
    Nelli spürte Trotz in sich wachsen. Und Wut.
    „Kannst du nicht mal offen sagen, was du meinst? Du musst immer eine Show draus mache, ein ironisches Fragespiel, irgendein Kaspertheater mit verstellten Stimmen, übertriebenen Gesten...“
    „Du willst Offenheit?“
    Das war ihre eigene Stimme, hart und klar.
    „Ja, verdammt noch mal.“
    „Die Frau, die sich hinter einer Tür versteckt, will Offenheit? Warum kommst du nicht raus und sagst mir das ins Gesicht?“
    Nelli stand an die Tür gelehnt, schüttelte den Kopf, wusste nicht weiter. Es war so klar, worauf das hinauslaufen würde. Ihr war schwindelig und übel. Schlafmangel, Wassermangel, Stress – woher nahm Monika die Kraft? Wahrscheinlich war sie längst draußen gewesen, hatte sich an einem Wasserhahn volllaufen lassen, vielleicht auch was gegessen. Nelli tastete in ihrer Hosentasche nach dem Schlüssel. Wenn es denn sein musste...
    „Warte!“, schrie Monika draußen, der das alles viel zu langsam ging. „Ich geb dir einen Grund, endlich rauszukommen.“
    Nelli hatte den Schlüssel in ihrer Tasche ertastet, zögerte, ließ ihn noch stecken, bückte sich zum Schlüsselloch. Sie war es so leid. Das war der eigentliche Grund, dass sie nicht da hinaus wollte. Nicht Angst vor Eskalation, Angst davor, dass sie aufeinander losgehen würden, dass sie sich zu einer Kurzschlusshandlung provozieren lassen könnte. Sie wollte einfach nicht mehr – dieses Gesicht sehen, diese Stimme hören, sich auf unsinnige Argumente einlassen müssen, sich in Streitgespräche verwickeln lassen, die niemand gewinnen konnte, weil sie sich um tote und längst begrabene Themen drehten.
    Monika inszenierte da draußen irgendwas. Sie zerrte die Leichen beiseite, platzierte einen Stuhl in Nellis Blickrichtung und versicherte sich, dass er durchs Schlüsselloch zu sehen sein würde. Nelli kam es vor als kokettiere sie mit einer Kamera.
    Sie würde niemals einfach so gehen. Deshalb war Nelli damals gegangen. Damals war klar gewesen, dass Monika nicht gehen würde,

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