In eisigen Kerkern (German Edition)
die Lippen zusammen, nickte und ging neben der Herolder in die Knie. Die Gefesselte verrenkte den Kopf in ihre Richtung so weit es ging, verdrehte die Augen und versuchte sie flehend anzuschauen. Tränen quollen hervor, ganz plötzlich, wie lange aufgestaut und endlich losgelassen. Das berührte Nelli nicht nur, weil es das erste Mal war, dass sich diese Frau überhaupt eine Gefühlsregung anmerken ließ, sondern weil es Nelli an die Nacht in Andis Gewalt erinnerte. In jenem Moment, als er sie gefesselt und ihr alle Hoffnung genommen hatte, sich freizukämpfen und zu überleben, hatte sie genau die selben Tränen der Verzweiflung geweint wie jetzt Fiona Herolder, Tränen um sich selbst und alles, was noch aus ihrem Leben hätte werden können.
Und genauso fühlte sie sich auch jetzt wieder, bei allem Mitleid: Sie wollte nicht sterben. Nichts war ihr so wichtig wie ihr eigenes Leben.
Zögernd beugte sie sich über Fiona Herolder, ignorierte ihr angstvolles Aufwimmern, drückte ihren Kopf zur Seite - und begann, an einem der Knoten des Farbbandes an ihrem Hinterkopf zu nesteln.
„Hör auf damit!“, schrie Monika, als sie begriff, was Nelli vorhatte. „Du sollst sie töten, nicht befreien.“
Der Knoten löste sich. Nelli begann das Farbband abzuwickeln.
Ohne noch einmal zu drohen, zielte Monika mit dem Feuerlöscherschlauch auf ihre Augen und drückte den Knopf.
Nelli bekam die Ladung aus nächster Nähe ins Gesicht, sie drang ihr in Mund und Nase ein. Die Haut brannte so heftig als hätte man sie mit Säure besprüht. Sie konnte gar nicht anders als sich die Augen zu reiben, obwohl ihr klar war, dass sie damit das Zeug nur noch ausbreitete, statt den Schmerz zu lindern.
„Ich sag es jetzt zum letzten Mal“, schrie Monika ihr direkt ins Ohr: „Bring - das Miststück - um!“
Nelli zwinkerte sich die Augen frei, beugte sich wieder über die Herolder, wickelte den Rest des Farbbandes von ihrem Kopf und half ihr auszuspucken, was Monika ihr in den Mund gestopft hatte. Es war zerknülltes Papier, seitenweise – Blätter aus ihrem eigenen Notizblock.
Etwas traf Nelli am Rücken. Sie hatte Monika nicht mehr beachtet, schaute kurz hin und begriff die neue Taktik. Ihre Peinigerin hatte den Feuerlöscher unter den linken Arm geklemmt und hieb mit dem Lösch-Schlauch wie mit einer Peitsche auf Nellis Rücken ein. Der erste Treffer war unangenehm gewesen, der zweite war schon schmerzhafter, der dritte eine brutale Qual.
Neben ihr keuchte, würgte und spuckte Fiona Herolder das letzte durchgespeichelte Papierknäuel aus dem Mund.
„Machen, äch, meine Hände, Beine, mich los...“
Nelli konzentrierte sich auf den ersten von wer weiß wie vielen Knoten. Ein weiterer Peitschenhieb des Schlauches ließ sie leise aufschreien. Der Knoten löste sich. Tränen von Schmerz und Wut und Verzweiflung schossen ihr in die Augen.
Der nächste Schlag. Sie stöhnte.
Der nächste Schlag. Sie schrie.
„Wehren Sie sich doch, verdammt!“, keuchte die Herolder. Nelli triefelte den nächsten Knoten auf und steckte zwei weitere Hiebe weg. Monika hatte sich eingearbeitet wie auf eine monotone Fließbandbewegung. Im regelmäßigen Takt hieben die Schläge auf Nellis Rücken ein, jedesmal ein Klatschen gefolgt von einem monotonen Stöhnen. Der nächste Knoten.
Mit einem Ruck lösten sich die zusammengebundenen Hände der Reporterin von ihren verschnürten Füßen. Nelli zögerte. Was als nächstes, Hände oder Füße befreien? War es besser, dass die Herolder laufen konnte oder dass sie die Hände frei hatte, um sich selbst die Füße loszubinden.
„Machen Sie schon... weiter!“
Ein Hieb mit dem Schlauch traf Nelli seitlich am Kopf. Sie hatte das Gefühl, ihr Ohr werde weggerissen.
In einem spontanen Impuls sprang sie auf und stürzte sich so heftig auf Monika, dass sie beide vom Schwung zu Boden gerissen wurden. Weder hatte Nelli selbst damit gerechnet, einen Angriff zu starten, noch war Monika darauf vorbereitet. Sie entriss ihr den Feuerlöscher, warf ihn nach draußen in den Kellerflur, stemmte sich wieder hoch, machte zwei Schritte von ihr weg und ging neben Fiona Herolder in die Knie.
Zuerst die Hände. Die Knoten waren derart fest gezurrt, dass sie mit bloßen Fingern nicht zu lösen waren. Noch ehe sich Monika aufgerappelt hatte, war Nelli noch einmal über ihr, tastete sie ab, durchsuchte bei matter Gegenwehr ihre Hosentaschen, fand das Taschenmesser und nahm es ihr weg. Monika ließ Nelli gewähren, stand auf
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