In eisigen Kerkern (German Edition)
Ausrufezeichen, Fragezeichen, unterringelte Rechtschreibfehler.“
„Na und? Die spinnt eben.“
„Auf die letzte Seite hat sie geschrieben: Und das war alles? Als hätte sie mich mit der Absicht seziert, das Geheimnis meines Lebens zu finden.“
„Aber auch eine Nelli Prenz besteht eben nur aus Fleisch und Knochen“, erwiderte Monika spöttisch.
„Trotz allem, unter dem Geschmiere war eine ganz wichtige Anmerkung, von ihr selbst hervorgehoben: Intelligenz ist eine Funktion von Zeit und fixierter Sprache.“
„Und das soll heißen?“
„Das heißt, in dem Buch steht mehr als ich selbst über mich weiß, obwohl ja alles von mir stammt. Das hat mich so erschreckt: dass ich es die ganze Zeit wusste, aber erst das hier alles passieren musste, damit es mir in diesem Keller wieder klar wurde.“
„Was denn?“
„Ich hatte nicht wirklich vor, nach Hause zu kommen und mich mit dir auszusprechen. Wäre ich Andi nicht begegnet...“
„Dann?“
Nelli zuckte die Schultern.
„Wäre ich vor der deutschen Grenze umgekehrt. Oder an Hof vorbeigefahren. Oder durch Hof durch und ohne anzuhalten weiter. Vielleicht hätte ich versucht, mich irgendwo in Deutschland niederzulassen. Die Herumtreiberei hätte ich schon aus Geldmangel nicht mehr lang fortsetzen können. Aber dir wäre ich aus dem Weg gegangen.“
„Und wieso hätte das besser gewesen sein sollen?“
Nelli atmete schwer ein und aus.
„Weil sich Menschen nicht ändern, Monika. Es ist eine Illusion zu glauben, mit Entschuldigungen und oberflächlicher Versöhnung und ein bisschen gutem Willen werden aus Feinden plötzlich Freunde.“
„Wir sind doch keine Feinde“, rief Monika empört. Nelli lauschte dem Klang ihrer Stimme nach und fand keinen Misston von Falschheit darin.
„Aber auch keine Freundinnen. Wir sollten keinen Umgang miteinander haben. Und deshalb...“
„Und deshalb willst du hinter deiner Tür verkrochen bleiben. Du hast nicht einmal den Mut, mir den Rücken zuzudrehen und selbst zu gehen. Du verlangst, dass ich gehe, während du wegschaust, damit du es hinterher nicht gewesen bist.“
Nelli seufzte leise.
„Es ist besser so, glaub mir. Für uns beide. Vor allem für dich.“
Hinter Nelli rumpelte es. Monika hatte sich von der Tür abgestoßen und war offenbar aufgesprungen. Ihre Stimme klang ganz nah über Nellis Kopf, als sie schrie:
„Für mich soll das besser sein? Du willst wissen, was besser für mich ist?“
„Auch, wenn du das jetzt nicht einsiehst.“
„Was bildest du dir eigentlich ein! Jetzt willst du dich auch noch als widerstrebende Heldin inszenieren, die ja so gern auf Versöhnung gemacht hätte. Aber Menschen ändern sich nun mal nicht, und deshalb, so sehr es schmerzt, muss die Heldin wieder ihrer Wege gehen und die arme Monika in ihrem Kummer allein lassen.“
„Welcher Kummer denn? Du fährst nach Hause und bekommst dein Leben in den Griff, aber ohne mich. Das ist doch keine Tragödie. Du bist erwachsen und ein selbstständiger Mensch.“
„Und das war’s dann?“
„Ja.“
„Ich hab eine Überraschung für dich, Nelli. Du kannst doch durchs Schlüsselloch schauen, oder? Dann schau mal, was ich hier habe.“
Eine Ahnung durchfuhr Nelli. Aber sie wollte nicht weiterkämpfen, war so am Ende, so ausgebrannt, so durstig.
„Bitte geh einfach, Monika. Ich kann nicht ändern, was passiert ist. Es tut mir unendlich leid, aber vom jetzigen Standpunkt aus betrachtet, und wir haben leider keinen anderen.“
„Schau durchs Schlüsselloch, Nelli“, trällerte Monika mit lockender, künstlich unbekümmerter Stimme.
„Wenn wir alle Möglichkeiten in Betracht ziehen, die wir im Moment haben, dann ist es einfach besser, wenn wir auseinandergehen. Du kommst ohne mich besser zurecht. Wenn wir jetzt nicht aufhören...“
„Dann wird es zur Katastrophe kommen?“
„Vielleicht.“
„Aber die ist längst unausweichlich. Denn ich geh hier nicht weg. Wenn du eine Trennung willst, dann musst du selbst aus deinem Rattenloch gekrochen kommen und versuchen, an mir vorbeizuschleichen. Versuch es mal.“
„Irgendwann wirst du schon gehen. Wenn Hunger und Durst groß genug sind.“
„Kann sein, gut möglich. Aber so lang ich noch standhaft bin, werde ich das zu verhindern wissen. Schau mal durchs Schlüsselloch, dann weißt du, was ich meine.“
Nelli ging in die Hocke, kniff das rechte Auge zu und schaute nach draußen. Es war ein schlanker, silberner Schlüssel mit Bart, den Monika ihr jenseits des
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