In eisigen Kerkern (German Edition)
augenblicklich schlecht, ich schrie: Hör auf damit! Das Messer war höllenscharf, aber irgendwie ging das so nicht, es blutete kaum, und alles war wie Gummi. Also drehte er die Klinge anders, stach sich mit der Messerspitze ins Handgelenk und machte sich tiefe Schnitte, mehrere, bis er endlich die Pulsader erwischte und der Länge nach aufschlitzte. Auf einmal schoss das Blut in Strömen. Dieser Geruch...“
Nelli schüttelte sich und schluckte den Druck hinunter, der vom Magen aufstieg.
„Ich weiß“, sagte sie.
„Wirklich?“, fragte Monika lakonisch. „Hast du auch schon mal in Blut gebadet?“
Nelli würgte und schluckte, sie schüttelte den Kopf. Monika wendete den Blick von ihr ab und erzählte leise weiter.
„Er nahm das Messer in die linke Hand, stach und schnitt am rechten Handgelenk herum, bis es da auch spritzte und quoll, immer im Takt des Pulses. Draußen war die Sirene ziemlich laut geworden. Ich dachte: um Gottes Willen holt mich hier raus, ich halte das nicht aus! Die Sirene wurde noch lauter, wurde so laut, dass es klang, als gelle sie im Haus. Dann wurde sie wieder leiser. Er schien das zu registrieren, aber sein Blick war schon ganz trüb. Sein Blut bedeckte einfach alles, sein Hemd, seine Hose, den Boden. Bis zu mir herüber war es gespritzt. Er wollte etwas sagen und aufstehen. Abbinden, sagte er, und ich schrie: Schneid mich los, damit ich dir helfen kann. Da fiel er mir schon entgegen, und das Messer polterte zu Boden.“
„Die Sirene?“
„In der Ferne noch zu hören. Hinten in Neuköditz hatten Kinder in einer alten Fabrikhalle gezündelt. Zumindest hat mir das später Stefanie erzählt.“
„Und wer hat dich dann befreit?“
„Na, wer wohl? Sie hatte einen Schlüssel zu seinem Haus. Aber sie kam nicht etwa gleich, sondern wartete, bis es dunkel war. Ich saß so ungefähr drei Stunden mit dem Kerl halb auf mir. Der Stuhl war verkeilt. Ich hatte zwar die Beine frei, aber er lag drauf und war ziemlich schwer. Hinter ihm war der Schreibtisch, deshalb konnte ich ihn nicht von mir wegstoßen. Weil ich mich kaum bewegen konnte, hatte ich bald überall Krämpfe. Aber das schlimmste war der Geruch. Ich bekam so einen Geschmack im Mund, süßlich und metallisch, den hab ich seitdem ständig.“
Monika spuckte heftig aus und gleich noch mal. Sie schüttelte sich.
„Stefanie muss doch außer sich gewesen sein“, sagte Nelli, um irgend etwas zu sagen. Monika saß nach vorne gebeugt da. Nelli überlegte, ihr die Hand auf den Rücken zu legen. Aber ihre Hand wollte sich einfach nicht auf ihren Rücken legen.
„Die?!“
Monika spuckte, bis ihr der Speichel ausging. Sie räusperte sich und redete mit kratziger Stimme weiter.
„Sie hatte Handschuhe an, so kleine dünne Damendinger aus Leder. Handschuhe im Sommer, verstehst du?“
Nelli verstand nicht, aber fragte nicht nach.
„Sie checkte kurz die Situation, ging dann ganz nah an mich ran, nahm meine Schläfen mit den Fingerspitzen, drehte meinen Kopf Gesicht an Gesicht, erzwang meinen Blick und gab mir präzise Instruktionen.“
„Sie hat dich doch aber vorher...“
„Losgebunden? Nein. Sie sagte: Es sieht folgendermaßen aus: Sollte ich ins Gefängnis müssen, musst du in ein Heim, und das ist genauso wie Gefängnis. Die stecken dich mit lauter dummen, vulgären Gören zusammen, betrügen dich um dein Erbe...“
„Also, das ist doch hirnverbrannter Blödsinn!“, entgeisterte sich Nelli. „Sie hat dich gefesselt gelassen und dir ein solches Zeug erzählt?“
„Sie hat mich haarklein instruiert, wie die Sache gelaufen ist.“
„Wie die Sache gelaufen ist?“
„Welche Geschichte wir der Polizei erzählen. Dann musste ich es wiederholen, und währenddessen hat sie das Zimmer auf den Kopf gestellt.“
„Wie bitte?“
„Sie hatte irgendwas mitgebracht, Sexzeug wahrscheinlich. Das hat sie in einer seiner Schubladen versteckt. Und dann hat sie gesucht und gesucht und irgendwann gemurmelt: Wusste ich es doch, von wegen pleite... – Sie hat was zusammengeknüllt, eingesteckt, ihre Handschuhe ausgezogen, sie in ihrer Handtasche verstaut, und dann erst hat sie den Toten von mir runter und mich losgebunden. Danach rief sie einen Krankenwagen und die Polizei.“
„Aber sie kann doch unmöglich mit der Geschichte durchgekommen sein!“
„Wieso denn? Ich komme den ganzen Tag nicht nach Hause, sie macht sich Sorgen, ruft bei ihrem Freund an, der ist irgendwie komisch am Telefon, also fährt sie zu ihm. Er scheint daheim
Weitere Kostenlose Bücher