In eisigen Kerkern (German Edition)
Jobs. Verschweigen und enthüllen, beides in der richtigen Dosierung und Anordnung.“
Nelli drehte genervt den Kopf zur Seite. Die Herolder beugte sich vor, langte zu ihr herüber, betatschte mit kalt-feuchten Fingern ihre Hand und sagte fröhlich: „Sie haben ein gutes Geschäft gemacht, Nelli. Denken Sie dran, was Sie mit dem Geld alles anfangen können. Wenn Sie’s geschickt anstellen, dann haben Sie ausgesorgt.“
Nelli zog ihre Hand weg.
„Schon gut, ich brauch keine Vermögensberatung. Wie geht’s jetzt weiter?“
Die Herolder drückte die Aufnahmetaste, lehnte sich zufrieden lächelnd zurück und sagte: „Jetzt erzählen Sie mir der Reihe nach und schön langsam und detailliert Ihre Geschichte.“
Und Nelli erzählte. Zunächst lief es stockend, weil der Anfang schmerzlich war und sie nicht gut aussehen ließ, aber kaum ging es um die Reise selbst, fielen ihr mehr und mehr Erlebnisse und Begegnungen ein, es begann zu fließen und ihr Spaß zu machen, fast war es eine Befreiung. Und es spielte keine Rolle, dass sie ihre Erinnerungen einer Frau anvertraute, die sie weder besonders mochte noch ihr ansatzweise über den Weg traute. Es war wie Tagebuchschreiben vor der Begegnung mit Andi.
„Brauchen Sie eine Pause?“, fragte die Herolder, als es auf Mittag zuging und drei der kleinen Tonbänder vollgesprochen waren. Nelli schüttelte den Kopf. Sie war jetzt mittendrin, ihr Abenteuer war wieder lebendig geworden, und sie hatte Angst, den Faden zu verlieren, wenn sie abgelenkt wurde.
„Aber ich“, brummte die Reporterin, nahm das Diktiergerät und verschloss es in der Schublade, in der auch der Vertrag ruhte. „Und wenn’s nur ne Kaffeepause ist.“
„Haben Sie irgendwas?“, fragte Nelli, der schon beim Erzählen aufgefallen war, dass ihr Gegenüber immer lustloser und mürrischer geworden war und mit der Zeit ganz aufgehört hatte, Fragen zu stellen.
„Wenn Sie’s genau wissen wollen: So besonders toll war das bisher nicht.“
„Was? Wie bitte!“
„Schon gut, nach der Pause kommen wir zum interessanten Teil.“
„Zum Gletscher? Das einzig Interessante meiner siebenjährigen Weltreise per Fahrrad ist für Sie dieser eine Tag?“
„Ganz genau.“
„Aber...“
„Nix aber. Weltreisen macht heutzutage jeder Studienrat in seinem Sabbatjahr, zu Fuß, auf dem Pferd, mit Rollschuhen oder per Purzelbaum – das juckt keine alte Sau mehr. Ich will das, was zwischen Ihnen und dem Killer war, und zwar in Zeitlupe, Szene für Szene, Gedanke für Gedanke, Wort für Wort und garniert mit jedem noch so kleinen Fünkchen Angst und Panik, die Ihnen in dieser Nacht durch den Kopf gegangen sind. Wenn Sie sich in den Schlüpfer gepinkelt haben, dann will ich genau wissen, wie sich das angefühlt hat, und wenn dieser Andi Sie dabei beobachtet und es Ihnen angesehen hat, dann will ich wissen, wie sein Gesichtsausdruck war und was Sie dabei gefühlt haben und wie er darauf reagiert hat und so weiter. En miniature, alles klar?“
Nellis Begeisterung war augenblicklich auf den Nullpunkt gesunken. Ihr wurde klar, dass sie ihre Reise so detailliert und durchaus langatmig erzählt hatte, um diese letzte und grässlichste Episode ihrer Rückkehr so lang wie nur möglich hinauszuschieben.
Aber auch das musste erzählt werden. Vielleicht war es sogar in Ihrem eigensten Interesse, psychologisch und nicht nur finanziell gesehen, es zu erzählen und nichts auszulassen. Es gerade einer Frau wie dieser Herolder zu erzählen, die es dann mit Karacho in die Welt hinaus posaunte, würde das Grauen vielleicht hinreichend banalisieren, in kleine Häppchen zerkaut verdaubar machen und die seelische Verstopfung lösen. Wer weiß.
Als sie es hinter sich gebracht hatte, fühlte sich Nelli einfach nur leer und müde. Sie ließ sich quer auf das Doppelbett ihres Hotelzimmers fallen und starrte die in kleine Quadratplatten aufgeteilte Gipsdecke an.
Nun also, war’s das? Konnte sie jetzt das Geld in Empfang nehmen und neu anfangen? War ein Neuanfang überhaupt ein Vorgang, der sich in einem Augenblick vollzog: Heute war alles wie immer – morgen, nach vollzogenem Neuanfang, war es ganz anders?
Nelli wälzte sich auf dem Bett herum und streckte sich nach dem Telefon. Auch Telefon-, Fernseh- und Videogebühren gingen auf Verlagskosten, sie hatte am Vortag beim Einchecken an der Rezeption nachgefragt. Minibar inklusive, hatte der Concierge augenzwinkernd ergänzt.
Das Einchecken. Eigentlich war das bereits ihr
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