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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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Strickpullover um die Schultern trug und so richtig schön satt und zufrieden wirkte nach diesem wunderschönen Familienausflug in die Hölle.
    „Fährst du, Schatz?“, fragte er und warf seiner Frau den Autoschlüssel zu.
    Weitere Leute folgten. Nelli stand da wie erschlagen und sah fassungslos zu, wie die meisten in Richtung von Andis Garage strömten und sich dort vor dem Tor versammelten. Eine junge Frau mit Shorts und einer Art Parkranger-Uniformjacke mit Namensschild war unter den letzten Leuten der Gruppe und rief die Herumstehenden dazu auf, ihr die Eintrittskarten zu zeigen. Mit einem Knipser entwertete sie jede Karte, sperrte den Nebeneingang zur Garage auf und öffnete ratternd das Tor.
    Ein Lkw-Motor sprang an.
    Noch bevor Nelli den Ton bewusst erkannte, versetzte eine Gänsehaut am Rücken sie körperlich zurück in jene Nacht, in der sie froststarr und gefesselt auf der Ladefläche gelegen und genau diesen Motor anspringen gehört und gefühlt hatte. Es war der Laster, der jetzt zum Tor herauskam, Nelli würde seinen Anblick, seine Schwingungen, sein Geratter und sein Gedröhne nie vergessen.
    Das durfte doch alles nicht wahr sein! Wie gebannt sah Nelli zu, wie die Leute auf die Lkw-Ladefläche kletterten und dort auf Bänken Platz nahmen, die man inzwischen eingebaut hatte. Die uniformierte junge Frau am Steuer winkte zu Nelli herüber:
    „Hallo, haben Sie auch die Gletschertour gebucht? Ein Platz wäre noch frei. Die nächste Fahrt ist dann erst wieder in einer Stunde.“
    Nelli reagierte nicht. Sie starrte zum Lkw, atmete mit kleinen Zügen stoßweise und lauschte dem Klang des Motors. Sie spürte wieder das eiskalte Metall der Ladefläche am Rücken, die Fesseln schnitten in ihre Gelenke, das Dröhnen ging ihr durch und durch.
    Die junge Frau am Steuer zuckte mit den Schultern, wandte sich nach vorn, legte krachend den Gang ein, als der letzte Tourist aufgestiegen, die Leiter eingezogen und die Klappe geschlossen war, und der Laster zog röhrend um die Ecke auf Andis Privatweg zum Gletscher.
    Nelli blieb stehen bis der letzte Fetzen Lkw-Gedröhne im kalten Bergwind verweht war. In Gedanken lag sie noch immer auf der Ladefläche. In Gedanken war es Nacht, und sie kam angeschlichen, um einzubrechen und ihr Tagebuch zurückzuholen oder Andis Wertsachen zu stehlen, um sie gegen das Tagebuch einzutauschen. In Gedanken kam Andi mit seinem Motorrad angefahren und nahm sie mit hoch zum Pass, um das Tagebuch zu suchen.
    „Hey, hallo! Sind Sie das? Sie sind es wirklich!“
    Ein Mann war hinter ihr aus dem Haus gekommen und an sie herangetreten. Er strahlte.
    „Nelli Prenz, das glaub ich ja nicht, dass Sie hier vorbeischauen! Ist das nur Zufall, oder haben Sie von unserem Projekt gehört? Kommen Sie doch mit rein, ich gebe eine Brotzeit aus, einen Andi-Teller spezial.“
    „Was, wie?“
    Nelli hatte sich herumgedreht und schaute den Kerl an. Ihre Gedanken waren wie in Gelee gerührt und nur gegen Widerstand beweglich.
    „Ich bin der neue Hüttenwirt, entschuldigen Sie“, redete der Mann weiter und fasste sich ans Herz. „Das konnten Sie nun wirklich nicht wissen. Ich hoffe, unser Programm ist Ihnen nicht zu makaber, aber wir sehen uns auch als Aufklärer, Sie verstehen schon: Niemandem trauen, in der schönsten Idylle lauern die scheußlichsten Monster... und so weiter und so fort.“
    „Sie haben sich das alles ausgedacht?“, fragte Nelli träge.
    „Stani Wächter heiße ich. Hier, meine Karte. Stani kommt von Stanislaus.“
    „Andis Horror-Welt – Unterkunftshaus, Pass, Gletscher“, las Nelli auf dem Kärtchen. „Inhaber Stanislaus Peter Wächter, Immobilienmakler.“
    „Einer von zwei Berufen“, erklärte Wächter. „So habe ich auch als Erster von der verwaisten Wirtschaft erfahren und konnte zugreifen.“
    „Das ist ziemlich...“
    „Ja?“, fragte Wächter freundlich.
    „Ich weiß nicht.“
    „Sie sind verwirrt. Das ist, glaube ich, ganz normal. Wollen Sie nicht doch erst mal mit hineinkommen?“
    Nelli starrte den Mann an. Er trug Jeans-Klamotten, wie Andi damals. Wie Andi hatte er dünnes Haar, allerdings kurz geschnitten. Wie Andi hatte er ein kariertes Geschirrtuch in der hinteren Jeanstasche stecken. Wie Andi sprach er Hochdeutsch mit einem Hauch von regionaler Mundart.
    „Eigentlich bin ich Hotelier in dritter Generation“, plauderte Wächter weiter. „Das Immobiliengeschäft läuft so nebenbei. Als ich hörte, dass die Wirtschaft hier zum Verkauf stand, musste ich einfach

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