In eisigen Kerkern (German Edition)
sollte sie auch hin, wenn nicht hinein? Einfach ergebnislos wieder zurück? Oder weiter ins Tal und dorthin, wo sie damals schon am Zelten war, als sie das fehlende Tagebuch bemerkte und gezwungen war, wieder umzukehren?
Das kleine Auto, das ihr entgegenkam, das Hupen und die Flüche.
„Ausgschamts Luder, ausgschamts!“
Die geballte Faust, die verzerrte Fratze.
Dass sie das hatte vergessen können.
„Was ist eigentlich aus Gerda geworden?“, fragte sie, als sie ihr Fahrrad an der hinteren Wand abstellte. Die Italienerin verschwand zögernd durch die Tür zum Klo. Die Leute, die hinter Nelli gedrängelt hatten, schoben sich, neugierig herüberglotzend, in die Wirtsstube. Wächter nickte ihnen freundlich-beflissen zu.
„Hallo?!“, rief Nelli laut.
Er zuckte herum.
„Aus wem?“
„Aus Gerda, Andis Thekenkraft.“
„Ach die, ja, die hat sich bei mir beworben kurz vor der Eröffnung. Hat von Wiederaufnahme des traditionellen Betriebes geschwatzt und dass ihr die Stelle angeblich zusteht, auch wenn Andi nicht mehr der Wirt ist.“
„Und?“
„Ich hab sie natürlich weggeschickt. Unmöglich eine solche Person in einem modernen Restaurationsbetrieb, das reinste Trampeltier. Die Leute wollen heutzutage schnell und vor allem freundlich bedient werden.“
„Und was macht Gerda jetzt?“
„Was weiß ich? Hackt Holz oder schleppt Milchkannen – irgendwas, für das sie besser geeignet ist mit ihren Teufelskräften.“
Hinter Andis Privattür rumorte es. Nelli schreckte zusammen, und Wächter zog sie ein Stück zur Seite.
„Die nächste Gruppe ist durch“, kommentierte er. „Hören Sie mal kurz zu.“
Die Tür ging auf, und ein junger Mann in Shorts und der schon bekannten uniformartigen Parkranger-Jacke mit Namensschild erschien.
„...und trug sie hier durch diese Tür hindurch über den Parkplatz zum Garagentrakt. Damit steuerte das Drama auf seinen Höhepunkt zu. Wenn Sie nun bitte hinter dem Ausgang nach rechts auf das Gebäude mit dem Flachdach zugehen und dort warten würden.“
„Student“, raunte Wächter Nelli zu. „Beschäftige drei davon. Gute Leute, Einheimische. Viel Leistung für wenig Geld.“
Der junge Mann ließ die Touristen passieren. Einer verharrte neben ihm, ging noch einmal zurück, als alle draußen waren, und knipste in den Raum hinein, in dem Andi seine Ausrüstung gelagert hatte. Wie Nelli durch den Türspalt sah, war das ganze Zeug noch da. Der Student wartete geduldig, nickte kurz zu seinem Chef herüber und versperrte dann die Tür.
„Ist sie das nicht?“, hörte Nelli aus einem Getuschel heraus. Drei ältere Damen waren zwischen „Privat“-Raum und Ausgang stehengeblieben und starrten schwatzend zu Nelli und Wächter herüber.
„Aber sicher ist sie das!“
„Ich will hier weg“, sagte Nelli und drehte den Frauen den Rücken zu.
„Dann kommen Sie.“
Wächter machte einen Satz zur Gaststubentür, stieß sie auf und ließ Nelli eintreten.
Die Tische waren nur halb besetzt, aber vor der Theke drängte sich eine Menschenmenge von rund 15 Personen.
„Die nächste Gruppe. Wollen wir uns anschließen?“
„Sie führen die Leute durch die Küche?“, fragte Nelli ungläubig.
„Ich weiß, das ist ungewöhnlich, aber geht leider nicht anders. Erstens gibt es keinen anderen Weg nach hinten...“
„...es sei denn, man kommt durch die Hintertür.“
„Ich weiß, aber zweitens hat sich die Geschichte doch für Sie in der Küche entschieden gewendet, oder? Sie wollten durchs Küchenfenster fliehen, Andi kam mit dem alten Aufseher-Revolver...“
Nelli spürte die Wut wieder in sich aufsteigen. Die schlimmsten Ängste ihres Lebens wurden hier zum Touristenrundgang arrangiert und schamlos ausgebeutet.
„Woher wissen Sie das eigentlich alles? Außer der Polizei hab ich das bisher niemandem erzählt.“
„Tja, man hat so seine Quellen.“
Er zerrte wieder an seinem Nasenflügel, und Nelli erkannte, dass es sich um eine Verlegenheitsgeste handelte. Ihre Wut verflog so schnell wie sie gekommen war.
„Ist ja auch egal.“
„Tut mir wirklich leid. Aber sehen Sie, wir betreiben hier auch Aufklärungsarbeit.“
„Quatsch!“
„Tatsache! Nicht, dass wir Sie als schlechtes Beispiel darstellen würden...“
„Mich?!“
Er schüttelte mitfühlend den Kopf.
„Es geht viel mehr darum, zu zeigen, wie leicht eine scheinbar harmlose Situation kippen kann, dass man immer auf der Hut sein muss.“
„Die schauen schon wieder her“, raunte Nelli. „Ich
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