In eisigen Kerkern (German Edition)
belanglos, aber immer mal verirrt sich auch was Besorgniserregendes drunter. Passiert ist allerdings noch nie was.“
„Auf...“
Nellis Stimme klang so kratzig, dass sie abbrach und sich räusperte.
„Auf dem Umschlag ist keine Briefmarke.“
„Und auch keine vollständige Adresse. Also hat ihn jemand direkt bei uns eingesteckt. Ist ungewöhnlich, aber kommt vor.“
Nelli schaute sie an und überlegte, ob sie was sagen sollte.
„Was?“, fragte die Herolder freundlich-besorgt.
„Vorgestern Nacht ist jemand um mein Zelt geschlichen. Bei Gewitter im strömenden Regen.“
„Wie bitte?“
„Das ist noch nicht alles.“
„Dann hat das aber doch nichts mit dem Artikel zu tun, oder?“
„Nicht ursächlich, schätze ich.“
„Also sagen Sie schon.“
Nelli schnaufte tief ein und aus. Dieser Frau sollte sie das eigentlich nicht sagen. Aber sie wollte nicht schon wieder ganz allein dieser Bedrohung ausgesetzt sein. Sie brauchte Rückhalt.
„Was ich Ihnen jetzt sage, dürfen Sie aber nicht schreiben.“
„Dann sagen Sie es lieber nicht.“
„Dürfte ich mal telefonieren?“
„Klar, bitte.“
Sie schob ihr das Telefon hin, und Nelli öffnete den Reißverschluss ihres Bauchbeutels. Bei ihren brandneuen Euro-Scheinen und ihren Papieren steckte auch der zerknüllte und geglättete Zettel mit den durchgestrichenen Telefonnummern von Fiona Herolder und diesem Platzer. Selbst jetzt noch roch das Stückchen Papier nach Zigarettenasche und fauligen Abfällen. Sie faltete den Zettel auseinander, griff zum Hörer, tippte die ersten drei Zahlen ein und legte wieder auf.
„Wen wollen Sie denn anrufen?“
„Die Polizei. Aber ich weiß nicht...“
„Wenn Sie meinen Rat hören wollen: Das bringt nichts. Außer, da steckt noch mehr dahinter.“
„Andis Leiche ist verschwunden.“
„Sagt wer?“
„Der zuständige Ermittler.“
Die Herolder ließ sich auf ihren Bürostuhl sinken und behielt den Mund halb offen stehen.
„Ich erzähle Ihnen das nur, weil... Wissen Sie was: Ich fahre da hin.“
„Also, mal langsam...“
„Die Polizei würde nichts tun. Die können ja niemand zu meiner und Monikas ständiger Bewachung abstellen. Außerdem gehen sie klar davon aus, dass Andi tot ist und nur seine Leiche gestohlen wurde.“
„Also, das sind ziemlich viele neue und äußerst bedeutsame Informationen auf einmal.“
„Können Sie mir nicht... dieses Handy, das Sie mir gegeben haben, könnten Sie nicht eine, wie hieß das noch mal, SNS...?“
„SMS.“
„...eine SMS vorfertigen und das Ding so einstellen, dass ich nur auf einen Knopf drücken muss, wenn mir Andi wirklich begegnen sollte? Sie könnten dann gleich die Polizei rufen, und...“
„Und bis die Polizei in die Gänge kommt, sind Sie längst über den Jordan. Außerdem geht das Handy nicht überall. Das sind Schnapsideen, Nelli. Jetzt erzählen Sie erst mal der Reihe nach.“
„Mehr gibt es da nicht zu erzählen. Außer vielleicht, dass dieser Brief so sehr nach Andi klingt, dass mir schlecht wird. Das ist genau seine Wortwahl, seine Art mit mir zu reden wie mit einem Kind oder Wellensittich.“
„Also zusammengefasst: Sie denken, der Kerl hat die Sache überlebt und sich davongemacht, er verfolgt und belauert Sie seitdem, und der Artikel in unserer Illustrierten hat ihn jetzt wild gemacht und auf die Idee gebracht, Sie mit diesem albernen Drohbrief um Ihr Honorar zu erpressen?“
„Wie soll es sonst sein?“
Die Herolder lachte auf.
„Da gibt es tausend Möglichkeiten. Ihr kleiner Praktikantenfreund zum Beispiel kann es nicht verwinden, dass er nicht mitmachen durfte, und will Sie jetzt durch die Gegend jagen und in Angst und Schrecken versetzen.“
„Der weiß aber doch gar nicht, dass die Leiche verschwunden ist. Der Brief kann überhaupt nur von zwei Leuten gekommen sein: entweder von Andi selbst – oder von demjenigen, der ihn sich geholt hat.“
„Jetzt passen Sie mal auf, ich schlage Folgendes vor: Wir bringen Sie erst mal wieder im Hotel unter, wo Sie in Sicherheit sind.“
„Ich kann doch nicht für immer ins Hotel ziehen!“
„Natürlich nicht. Aber um diesen Fall muss sich die Polizei kümmern...“
„Auf einmal?!“
„...und zwar die Polizei hier vor Ort.“
„Und was ist mit Monika?“
„Die muss natürlich gewarnt werden.“
„Ich weiß ja gar nicht, wo sie ist, und die Polizei...“
„Aber ich weiß es.“
„Sie wissen es?“
Nelli schüttelte verblüfft den Kopf.
„Woher? Und
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