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In eisigen Kerkern (German Edition)

In eisigen Kerkern (German Edition)

Titel: In eisigen Kerkern (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Manfred Köhler
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gleich aus: steinig, rau und kalt.
    Durchgeschwitzt und schnaufend stellte Nelli ihr Fahrrad auf den Ständer und ging die paar Schritte von der Passstraße zu der Felseinbuchtung, in der sie gezeltet hatte. Sie fand noch den Steinkreis, den sie – überflüssigerweise hier oben – für ihr Lagerfeuer gelegt hatte. Das Holz hatte sie im Tal gesammelt gehabt und mit hier hoch geschleppt. Die verkohlten Reste lagen noch, eingenässt vom letzten Regen, im Steinkreis verstreut.
    Nelli stieß eines der blauschwarzen Kohlestückchen mit dem Fuß an. Sie erinnerte sich an jene Nacht wie an ein anderes Leben. Mit dem Rücken zur Straße hatte sie am Feuer gesessen, ein Salamibrot und ein Schinkenbrötchen zu Abend gegessen, beides weich und verdrückt vom Transport in der Packtasche. Sie hatte an nichts anderes gedacht als an ihre Rückkehr nach Hof, den Besuch bei Monika und ob sie es ihr sagen würde – das, was sie ihr längst hätte sagen müssen. Damals, an jenem Abend hier oben, war sie zu der Überzeugung gelangt, es nicht zu tun. Wozu das alles aufwühlen nach der langen Zeit? Ihren Seelenfrieden würde es ihr nicht zurückbringen. Dennoch war sie weitergefahren.
    Nelli lächelte schmerzlich bei dem Gedanken, dass es tatsächlich so gekommen war. Eigentlich war ihr schlechtes Gewissen größer denn je. Im Vergleich zu heute war es ihr damals gut gegangen. Prächtig geradezu. Wie sehnte sie sich zurück in dieses wohlige Nichtkennen einer Welt, in der es Menschen wie Andi gab.
    Hätte sie damals hier an dieser Stelle nicht übernachtet, wäre ihr all das Unsagbare nicht passiert. Hier hatte er sie campieren sehen, hatte sie belauert und beobachtet, seinen Plan geschmiedet, sie einzufangen, hatte ihr Fahrrad manipuliert und dadurch ihren Unfall verursacht.
    Nelli spürte eine Art Schicksalsmacht wirken, als sie über ihren Aufenthalt hier und alle Folgeereignisse nachdachte.
    Um die ganze Welt war sie geradelt, nur um von über 2.500 Nächten unterwegs ausgerechnet jene für ihre Übernachtung an dieser Stelle zu erwischen, als dieser Irre hier vorbeigekommen war. Einen Tag früher oder später diese Straße genommen, etwas weiter abseits der Straße oder am besten eine Stunde später unten im Tal campiert, und es wäre alles anders gekommen, sie wäre jetzt sonstwo und würde sonstwas tun.
    Nelli verpasste der Kohle, die sie noch immer mit der Schuhspitze antippte, einen Tritt. Es war nun mal so gekommen und nicht mehr zu ändern.
    Entschlossen ging sie zurück zum Fahrrad, trat an, kämpfte sich die letzten Meter zur Passhöhe hinauf, hielt nicht an, um von hier aus nach unten zu schauen, und auch nicht, als sie an ihrem damaligen Unfallort vorbeikam.
    Nelli stoppte erst, als Andis Passhütte hinter einer Felsnase auftauchte. Die Hütte war nicht aufgegeben, verrammelt und verwaist, wie sie es erwartet hatte – es parkten mehr Autos davor als zu Andis Zeiten. Eine Fahne wehte am Mast. Eine Art Transparent hing an der Wand. Und die Tür stand sperrangelweit offen.
     
    Erst als Nelli den Parkplatz erreichte, ihr Fahrrad zwischen den Autos hindurch zum Haus steuerte und neben der Tür abstieg, war sie nahe genug, um lesen zu können, was mit weißen Buchstaben auf dem schwarzen Transparent stand.
    Es verschlug ihr die Sprache.
    Die etwa zwei Meter hohe und einen Meter breite Werbefolie war zwischen Tür und Fenster zum Gastraum an die Wand gespannt.
    „Alpenpass-Grusel im Haus des Schreckens“, stand da in fetten Buchstaben, und darunter prangte in nicht weniger schreiender Schrift: „Einkehren, wo der Serienmörder Andi Czernowski hauste und sein Unwesen trieb. Führung durch die Original-Schauplätze. Das letzte Bad seines letzten Opfers. Der Lageplan des Schreckens-Tunnels. Gletscher-Pendelverkehr in Andis Original-Monstertruck jeweils zur vollen Stunde.“
    „Ganz schön makaber“, hörte sie neben sich eine Stimme, und eine andere Stimme meinte: „Ja, aber auch ganz schön abgefahren. Bin schon gespannt auf den Gletscher.“
    Drei junge Kerle kamen aus der offenstehenden Hüttentür, streckten sich, bedachten Nelli mit beiläufigen Blicken und schlenderten über den Parkplatz hinüber zum Garagengebäude. Ein älteres Ehepaar folgte, dann eine Familie mit zwei Jungs, von denen einer nörgelte: „Aber warum fahren wir nicht auch mit zum Gletscher!? Papa, ich will diesen Tunnel sehen, von dem alle reden!“
    „Vielleicht nächstes Jahr, wenn du größer bist“, tröstete ihn der Vater, der einen

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