In Ewigkeit, Amen
mich nämlich an rauschenden Wind und Tod. Und ein ganz eigenartiges Bohren im Magen. Als wäre ich an etwas schuld und würde mich gerne vor allen verstecken. Als dürfte es niemand wissen. Es?
Der Blomberg sah mich an, als könnte er die Wahrheit, die nicht einmal ich mehr kannte, von meinem Gesicht ablesen. Ich hatte das ungute Gefühl, etwas gestehen zu müssen. Aber es gab nichts zu gestehen, schärfte ich mir ein. Ich hatte nur unsere Limoflasche geholt. Das war mein gutes Recht.
Das Telefon begann zu klingeln. Auch das noch. Ich blieb eine Weile sitzen. Das war garantiert jemand, der wissen wollte, ob wir eine Leiche gefunden hatten. Da es nicht aufhörte zu klingeln und alle betreten schwiegen, stand ich doch auf.
»Stimmt des?«, fragte Annelieses Stimme statt einer Begrüßung.
Max hätte die Frage bestimmt nicht verstanden, weil man mit Männern in ganzen Sätzen sprechen muss. Aber Anneliese war meine beste Freundin seit meiner Kindheit, da verstand man den anderen auch, wenn der nur ein Grunzen von sich gab. Wir hatten zwar einige Jahre keinen Kontakt miteinander gehabt, aber seit ich den toten Mesner gefunden hatte, waren wir wieder ein Herz und eine Seele. So eine Leiche hin und wieder konnte eine Freundschaft richtig beleben.
»Ja«, antwortete ich wortkarg und schielte zu Blomberg, der noch immer nichts sagte.
»A geh«, sagte Anneliese. »Wie machst du des bloß.«
»Das war gar nicht ich«, stellte ich richtig. »Sondern Großmutter.«
»A geh«, sagte Anneliese, als wäre das total unwichtig. »Und, ist der Schorsch schon da?«
»Nein.« Aber der damische Blomberg, der damische. »Ich muss jetzt aufhören«, sagte ich knapp und legte auf, ohne auf einen Kommentar zu warten. Freundinnen verstanden das, wenn man den Hörer auflegte.
Im nächsten Moment klingelte schon wieder das Telefon, und ich zog unauffällig den Stecker aus der Buchse. Für eine Weile schwiegen alle weiter. Ich setzte mich wieder an den Tisch. Die Edelstahlspüle war schon so trocken gerieben, dass ich mir einbildete, Großmutters Putzen würde ein grässliches Geräusch erzeugen.
Der Blomberg sah so extrem frustriert aus, dass ich Mitleid mit ihm bekam und ihm am liebsten geholfen hätte. Anscheinend hatte er das bemerkt, denn er beugte sich in meine Richtung und fragte sehr freundlich: »Können Sie sich ein Motiv für diesen Mord vorstellen?«
Dann runzelte er die Stirn, vielleicht weil ich die Stirn gerunzelt hatte, vor lauter angestrengtem Nachdenken.
»Ein Motiv«, wiederholte ich genauso freundlich und sah in seine braunen Augen. Wanninger. Umbringen. Ein Motiv.
Blomberg sah zwar noch immer freundlich aus, aber plötzlich schien mir das nur noch äußerlich zu sein. Er dachte über etwas nach. Über mich. Über mein Motiv. Und ob ich etwas zu verbergen hatte.
Mein Puls begann zu rasen.
Das war eines meiner Hauptprobleme. Sobald ich mich einem Polizisten ausgesetzt sah, war mein Körper in einem Ausnahmezustand. Das fühlte sich immer richtig grässlich an, als hätte man tatsächlich etwas falsch gemacht.
Meine Ohren begannen zu surren. Ich sah die braunen Augen vom Wanninger vor mir, wie sie mich angesehen hatten, damals im Herbst. Als der Pudschek gestorben war. Der Sturm hatte an uns gerissen. Die Blätter waren über die Straße gejagt, und ein geöffnetes Fenster hatte penetrant gegen den Rahmen geschlagen. Vielleicht war es auch die Tür gewesen. Und ich hatte dem Wanninger ins Gesicht gesehen, er war so unglaublich entsetzt gewesen, seine Augen starr und unbeweglich auf mich gerichtet, als hätte er für immer vergessen zu blinzeln und zu atmen. Ich wusste damals genau, was er dachte. Du bist schuld, Lisa. Jetzt ist der Pudschek tot.
Und ich wusste, dass er recht hatte.
Und dass mich Großmutter schimpfen würde. Nicht wegen des Pudscheks, sondern wegen des kaputten Marienbildchens.
Marienbildchen? Welches Marienbildchen?
Plötzlich sah ich wieder den Blomberg vor mir und nicht den Wanninger.
Der Blomberg wirkte sehr interessiert und sah mich so intensiv an, dass ich rot wurde. Und sein Kompagnon schrieb etwas auf, obwohl ich noch gar nichts gesagt hatte.
»Motiv?«, krächzte ich noch einmal und wirkte bestimmt wie jemand, der in den letzten vierundzwanzig Stunden einen Organisten erstochen hatte.
»Ach, gehn S’ weiter«, sagte Großmutter, die jetzt direkt hinter mir stand. »Wer sollt denn ein Motiv haben, den Wanninger zu derstechen!« Sie schnalzte unwillig mit der Zunge. »Wo doch
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