In feinen Kreisen
Worten wurde seine Stimme ein wenig brüchig und man sah ihm an, wie viel Kraft es ihn kostete, seine Fassung zu wahren.
Monk berührte das Problem des anderen Mannes viel mehr, als er es sich noch vor wenigen Wochen hätte vorstellen können. Obwohl er sich ganz auf Lucius Stourbridges Situation konzentrieren wollte, sah er im Geiste sich selbst und Hester, wie sie im Schein des letzten Sonnenlichts Seite an Seite über einen stillen Strand schlenderten. Der Himmel strahlte im Nordwesten flammendrot und die Hügel in der Ferne waren in einen purpurnen Schimmer gehüllt, der die Luft leuchten ließ. Sie brauchten nichts zu sagen, denn sie wussten auch ohne Worte, dass sie angesichts jener Schönheit beide das Bedürfnis verspürten, diesen Moment festzuhalten – ebenso wie sie das Wissen um die Unmöglichkeit eben jener Hoffnung teilten. Trotzdem verlieh die Tatsache, dass sie zusammen dort waren, dem Augenblick einen Hauch von Ewigkeit.
Und es hatte andere Situationen gegeben: gemeinsames Lachen über das Spiel eines Hundes mit einer vom Wind verwehten Papiertüte, – die Freude über ein köstliches Sandwich nach einem langen Spaziergang; der Aufstieg zum Gipfel eines Berges, – das sprachlose Staunen über die Aussicht von dort und die Erleichterung, nicht mehr weitergehen zu müssen.
Wenn Lucius in seinem Leben ähnliches Glück erfahren und es aus einem Grund verloren hatte, den er nicht verstand, war es kein Wunder, dass er so verzweifelt nach einer Antwort suchte. Wie hässlich oder niederschmetternd die Wahrheit auch sein mochte, bevor er sie nicht kannte, hatte er keine Möglichkeit darüber hinwegzukommen.
»Dann werde ich alles in meiner Macht Stehende tun, um herauszufinden, was geschehen ist«, sagte Monk. »Und wenn sie bereit ist, zu Ihnen zurückzukehren…«
»Ich danke Ihnen!«, sagte Lucius erleichtert und seine Miene hellte sich auf. »Ich danke Ihnen, Mr. Monk! Sie brauchen keine Kosten zu scheuen, das verspreche ich Ihnen. Was kann ich tun, um Ihnen behilflich zu sein?«
»Erzählen Sie mir die Geschichte Ihrer Bekanntschaft, erzählen Sie mir alles über Mrs. Gardiner, was Sie wissen«, erwiderte Monk mit einem flauen Gefühl im Magen.
»Selbstverständlich.« Lucius’ Miene wurde weicher und die Anspannung schwand aus seinem Gesicht, als erfülle ihn allein die Erinnerung an ihre erste Begegnung mit Glück. »Ich hatte einen Freund besucht, der in Hampstead lebt, und ich ging auf dem Rückweg über die Heide. Es war ungefähr zu dieser Jahreszeit und ein wunderschöner Tag. Ich begegnete vielen Leuten, spielenden Kindern und einem älteren Ehepaar, das lächelnd in der Sonne saß.« Er lächelte selbst, als er davon erzählte. »Ein kleiner Junge rollte einen Reifen, und ein Hündchen jagte einem Stock hinterher. Ich blieb stehen und beobachtete den Hund. Er war so voller Leben, wie er da mit wedelndem Schwanz durch die Heide sprang, und so zufrieden den Stock zurückbrachte. Ich musste laut lachen, und es dauerte eine ganze Weile, bis mir aufging, dass es eine junge Frau war, die den Stock warf. Einmal landete er vor meinen Füßen, und ich hob ihn auf und warf ihn wieder zurück, einfach weil es so viel Spaß machte zuzusehen. Natürlich kamen wir beide ins Gespräch, diese Frau und ich. Es entwickelte sich alles so natürlich. Wir unterhielten uns über den Hund, und sie erzählte mir, dass er einer Freundin gehöre.«
Sein Blick war entrückt bei der Erinnerung an jenen Tag. »Ein Gesprächsthema führte zum nächsten, und bevor ich mich versah, hatte ich fast eine Stunde mit ihr geredet. Am nächsten Tag ging ich in der Hoffnung, sie dort zu treffen, wieder in die Heide, und sie war tatsächlich da.« Er zuckte kaum merklich mit den Schultern, eine winzige Geste voller Selbstironie. »Ich bilde mir keinen Augenblick lang ein, dass sie das für Zufall hielt, und ich hatte auch nicht das Gefühl, heucheln zu müssen. So war unsere Beziehung nie. Sie schien zu begreifen, was ich meinte, ganz als hätte sie selbst die gleichen Gedanken und Gefühle. Wir lachten über dieselben Dinge, fanden dieselben Dinge schön oder traurig. Ich habe mich in Gesellschaft eines anderen Menschen nie so wohl gefühlt, so entspannt wie bei ihr.«
Monk versuchte, es sich vorzustellen. Es war gewiss nicht das, was er bei Hester empfunden hatte! Er fand sie anregend und bisweilen eigensinnig, er war zornig oder amüsiert, voller Bewunderung oder sogar Hochachtung, aber zu behaupten, er habe ihre
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