In feinen Kreisen
Gesellschaft häufig entspannend gefunden, wäre übertrieben gewesen.
Nein – das entsprach nicht ganz der Wahrheit. Jetzt, da er sich endlich eingestanden hatte, dass er sie liebte, und nachdem er aufgehört hatte, sie mit Gewalt zu der Art Frau zu formen, von der er geglaubt hatte, dass er sie haben wollte, jetzt, da er sie endlich als das akzeptierte, was sie war, fühlte er sich in ihrer Gesellschaft doch meist sehr wohl.
Und natürlich hatte es auch Zeiten gegeben, da sie für ein gemeinsames Ziel kämpften, und sie hatte dies mit Mut, Phantasie, Mitgefühl und einer Zähigkeit getan, wie er sie bei keiner anderen Frau – bei keinem anderen Menschen – je erlebt hatte. In diesen Zeiten verband sie eine Kameradschaft, wie sie nicht einmal Lucius Stourbridge erahnen konnte.
»Und so entwickelte sich Ihre Freundschaft«, kam er seinem Besucher zuvor. »Nach einer Weile haben Sie sie dann mit Ihrer Familie bekannt gemacht, und Ihre Eltern mochten sie ebenfalls.«
»Ja – so ist es«, stimmte Lucius ihm zu. Er wollte weiter sprechen, aber Monk fiel ihm ins Wort. Er benötigte Informationen, die ihm vielleicht bei seinen Bemühungen helfen konnten, die vermisste Frau zu finden, obwohl er kaum Hoffnung hatte, dass die Sache für Lucius oder einen der anderen Beteiligten einen glücklichen Ausgang nehmen würde. Eine Frau lief ihrem zukünftigen Ehemann nicht weg und blieb mehrere Tage lang verschwunden, ohne ihm eine Nachricht zu schicken, es sei denn, es gab ein ernst zu nehmendes Problem, das sie auf andere Weise nicht lösen konnte.
»Was wissen Sie von Mrs. Gardiners erstem Ehemann?«, fragte Monk.
»Ich glaube, er war etwas älter als sie«, antwortete Lucius , »ein Mann mit bescheidenem geschäftlichem Erfolg, genug, um sie nach seinem Tod versorgt zu wissen. Außerdem hatte er einen guten Ruf und weder Geldnoch Ehrenschulden.« Seine Stimme hatte einen festen Klang, als wolle er Monk dazu bringen, ihm zu glauben.
Monk entnahm dieser kurzen Zusammenfassung, dass der verstorbene Mr. Gardiner aus sehr viel einfacheren Verhältnissen gekommen sein musste als Lucius Stourbridge. Er hätte gern mehr über Miriam Gardiners persönliche Geschichte gewusst, ob sie wie eine Dame sprach und sich wie eine solche benahm, ob sie in der Familie Stourbridge mit einem gewissen Selbstbewusstsein aufgetreten war oder ob sie insgeheim Angst vor seinen Angehörigen hatte. War es jedes Mal eine Qual für sie, wenn sie etwas sagte, weil sie fürchten musste, eine Schwäche zu zeigen? Monk konnte sich etwas Derartiges nur allzu gut vorstellen. Er selbst stammte aus einem Fischerdorf in Northumbria und hatte versucht, in London den Gentleman zu spielen. Eigenartig, dass ihm das gerade jetzt einfiel, wo er an Miriam Gardiner dachte, die vielleicht auch aus einer unteren Gesellschaftsschicht kam und dabei war, sich einer anderen Klasse von Menschen anzupassen, ohne zu verraten, wie viel Anstrengung sie dies kostete. Immer, wenn sie sich an den Tisch setzte, musste auch sie Angst gehabt haben, die falsche Gabel zu benutzen oder eine dumme Bemerkung zu machen, sich als unwissend zu erweisen, was gegenwärtige Ereignisse betraf, oder zu verraten, dass sie niemanden kannte… Aber nach solchen Dingen konnte er Lucius nicht fragen.
»Ich denke, ich suche Sie besser einmal in Ihrem Haus auf, Mr. Stourbridge«, sagte Monk laut. »Ich möchte mit eigenen Augen sehen, wo das Ereignis stattgefunden hat, das Mrs. Gardiner anscheinend so sehr erregte. Außerdem würde ich gern, Ihr Einverständnis vorausgesetzt, mit Ihren Angehörigen und Dienstboten sprechen, um von ihnen so viel wie möglich in Erfahrung zu bringen.«
»Aber natürlich!« Lucius sprang auf. »Ich danke Ihnen, Mr. Monk. Ich bin sicher, wenn Sie Miriam nur finden können und ich weiß, dass ihr nichts passiert ist, dann werden wir alle anderen Schwierigkeiten überwinden.« Wieder verdüsterte sich seine Miene, als ihm klar wurde, wie groß die Wahrscheinlichkeit war, dass es ihr nicht gut ging. Ihm fiel einfach kein anderer Grund ein, warum sie ihn nicht hätte benachrichtigen sollen. »Wann werden Sie aufbrechen können?«
Monk fühlte sich gedrängt, und doch hatte Lucius Recht: Die Angelegenheit war eilig; tatsächlich konnte es gut sein, dass sie bereits zu spät kamen. Wenn er den Auftrag annehmen wollte, sollte es sofort geschehen. Er würde Hester eine Nachricht hinterlassen und erklären, dass er einen Fall übernommen hatte und zurückkehren würde, sobald
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