In grellem Licht
Armee. Ich weiß nicht, wer er war, aber das
weiß ich. Mama hat’s mir verraten, bevor sie
starb.«
»So könnte man also mit Fug und Recht behaupten,
daß Sie absolut kein Motiv haben, Ihren Vorgesetzten beim ZD
oder diesem Beirat die Unwahrheit zu sagen über das, was Sie
sahen? Daß, ganz im Gegenteil, eine Lüge, sobald sie
aufgedeckt würde, Ihre Chancen auf eine Erfüllung Ihres
Herzenswunsches zunichte machen würde?«
»Sir, ich lüge nicht! Ich lüge
nicht!«
Der Vorsitzende macht ein finsteres Gesicht. »Doktor
Clementi, ich fürchte, es gibt da ein kleines
Mißverständnis. Man hat Sie hergebeten, um uns mit Ihrem
fachlichen Wissen zur Seite zu stehen, und nicht, um die Motive und
die Glaubwürdigkeit einer vorgeladenen Zeugin festzustellen. Der
Beirat fordert Sie hiermit auf, sich auf Ihr wissenschaftliches
Fachgebiet zu beschränken. Haben Sie noch Fragen in dieser
Richtung an die Rekrutin Walders?«
»Nein.«
»Gut. Dann wird der Vollzugsbeamte Sie zu Ihrem
ZD-Stützpunkt zurückbringen, Rekrutin Walders. Er wird
Ihnen außerdem erläutern, daß es Ihnen untersagt
ist, irgend etwas von dem, was Sie in diesem Raum gehört haben,
zu wiederholen und Ihnen die Strafbestimmungen für den Fall des
Zuwiderhandelns nennen.«
»Ich würde nie…«
»Vielen Dank, Rekrutin Walders.«
Der Bundesvollzugsbeamte wartet dicht an meinem Ellbogen. Mit
heißen Wangen stehe ich auf und zwinge mich dazu, den Mund zu
halten und ruhig hinauszugehen. Diese Leute sind Ratgeber des
Kongresses, zum Geier – große Tiere! In diesem Raum ist
mehr Macht versammelt, als ich je wieder auf einem Fleck zu Gesicht
bekommen werde! Ich sollte ruhig hinausgehen, nichts mehr reden, auch
wenn ich innerlich koche…
Ich kann es nicht. In der Tür angelangt drehe ich mich um.
»Wenn ihr alten Fürze irgend etwas tut, was mir meinen
Eintritt in die reguläre Armee verpatzt, dann werdet ihr es
bereuen! Jeder einzelne von euch! Egal, was es mich
kostet!«
Von seinem Stuhl aus schüttelt Clementi den Kopf in meine
Richtung, aber es ist schon zu spät. Der Vollzugsbeamte packt
mich am Arm und reißt mich durch die Tür. Doch da habe ich
schon das abfällige Grinsen auf dem Gesicht der alten
Schreckschraube gesehen, die mich gepiesackt hat. Jetzt hat sie
endlich, was sie die ganze Zeit über wollte: den Beweis,
daß ich ein unbeherrschter, respektloser Hitzkopf bin, der es
nicht wert ist, daß man ihm zuhört. Und das habe ich ihr ermöglicht! Verdammte Scheiße!
Ich habe es mir gerade selbst vermasselt.
5
NICK CLEMENTI
In dem Moment, als ich beim Meeting des Beirates eintraf, waren
die Linien der Schlachtordnung bereits gezogen. Diese alten, alten
Linien – auch jetzt noch, da so viele von uns selbst alt sind
und man meinen könnte, wir wären ihrer
überdrüssig geworden. Aber nach wie vor ist da immer das
gleiche Ziehen an den entgegengesetzten Enden des Seiles, immer die
gleiche Hackordnung auf dem Hühnerhof. Ich konnte es riechen, in
der Sekunde, als ich den Tagungsraum betrat. Aber nichts für
ungut – ich habe es mein Leben lang auch nicht anders gehalten.
Die moderne Wissenschaft benötigt nicht nur ihre Kochs sondern
ebensosehr ihre Metternichs.
Aber das Mädchen, dieses große Kind in der
paramilitärischen Uniform, das hatte keine Ahnung von alldem.
Man würde sie bedenkenlos opfern, sie unbewaffnet und unwissend
der angreifenden Kavallerie vorwerfen. Ich tat, was ich konnte, um
das zu verhindern, bis sie mit dem leidenschaftlichen Eigensinn aller
jungen Leute losstürzte, sich in den Weg der
heranstürmenden Pferde warf und zertrampelt wurde.
Als sie gegangen war – zitternd, rot im Gesicht,
anmaßend und ergreifend –, schritten wir zum wahren
Kampf.
»Ich denke«, begann der Kongreßabgeordnete John
Leonard, der Vorsitzende des Beirates, ein relativ junger und
politisch ambitionierter Mann aus dem bibelfesten Süden. Seine
Wählerschaft glaubte inbrünstig an die gemeinsam getragene
Verantwortung – was die Verantwortung mit einschloß, das
gottlose Herumpfuschen am menschlichen Genom strengstens zu
reglementieren. Desgleichen glaubte sie inbrünstig an Familie
und Kindersegen, letzteren als ein Allheilmittel gegen die weltweit
fallenden Spermienzahlen.
Und der Kongreßabgeordnete Leonard mußte die
Gratwanderung zwischen diesen beiden Überzeugungen schaffen.
Regelmäßig beruhigte er die Leute daheim in seinem Bezirk,
daß die >steril-intellektuellen Kräfte, welche die
wahre Natur des Menschen
Weitere Kostenlose Bücher