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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Leute vergessen ihre guten Manieren wohl
nie.
    »Rekrutin Walders, das ist Doktor Nicholas Clementi,
emeritierter Direktor des Nielson-Institutes und Berater dieses
Komitees auf dem Gebiet der Vivifaktion. Doktor Clementi, wir waren
soeben dabei, die… Glaubwürdigkeit der Rekrutin Walders
festzustellen.«
    Und jetzt erscheint meine Dienstbeschreibung auf dem
Wandschirm.
    Doktor Clementi wirft einen Blick darauf und dann einen auf mich.
Der beschissene Vorsitzende will sich gerade wieder auf mich
stürzen, da schneidet Clementi ihm das Wort ab. »Ich
verstehe. Aber ich fürchte, heute ist meine Zeit sehr begrenzt,
Herr Vorsitzender – Befehl meines Doktors…« Er
klopft mit der Rechten auf den Gips an der Linken und verzieht das
Gesicht. »Also würde ich mit Ihrer Erlaubnis lieber gleich
zu jenem Teil von Rekrutin Walders’ Bericht kommen, der in mein
Fachgebiet fällt.«
    Ich werde ihn küssen, Ehrenwort! Vorsitzender
Arschloch schaut finster drein, sagt aber nichts. Dieser Doktor
Clementi muß wirklich ein wichtiger Mann sein. Ich bemühe
mich auszusehen wie die personifizierte Zierde meines Landes.
    »Rekrutin Walders, mir ist nicht ganz klar, was da bei diesem
Zugunglück in Lanham eigentlich vorging. Wurde die Evakuierung
nicht von der regulären Armee durchgeführt? Können Sie
mir erklären, wie Ihre Zivildiensttruppe da ins Spiel
kam?«
    Er gibt mir die Möglichkeit, es mit meinen eigenen Worten zu
schildern. Das tue ich, unterstützt von ein paar helfenden
Fragen seinerseits. Ich erzähle von der Rettungsaktion für
die Haustiere und daß während zweier ganzer Tage niemand
verletzt wurde – und das ganze schmiere ich mit ein paar
eingestreuten Bemerkungen, wie man einigen von uns herausragenden
Zivildienstlern die Chance gegeben hat, unsere durch hartes
körperliches Training erworbene Fitness in den Dienst der
regulären Armee zu stellen, blablabla. Er läßt mich
keine Sekunde aus den Augen. Für so einen mürben Mummel ist
er schwer in Ordnung.
    »So sind Sie also zur Hinterseite gelaufen, um einen Weg zu
finden, dem Ihnen anvertrauten Zivilisten ins Innere des
Gebäudes zu folgen? Das war sehr tapfer.«
    Jetzt schmiert er mir Honig ums Maul, aber das kann ich vertragen.
»Jawohl, Sir. Und jede Tür, an der ich rütteln konnte,
war dichtgemacht wie ein… war fest verschlossen. Aber dann sehe
ich den Zivi, wie er aus einer Tür rennt, aus einer kleinen
Tür ein Stück vor mir. Hat wohl nicht erwartet, mich zu
sehen, denke ich, weil er fast in mich hineinrennt, ehe er
erschrocken einen Haken schlägt und abschwirrt.«
    Vorsitzender Arschloch sagt: »Und Ihnen vermutlich eine
hervorragende Möglichkeit gibt, ihn aufzuhalten, wo Sie doch,
wie Sie sagen, so entschlossen waren, genau das zu tun. Haben Sie
ihre Betäubungspistole gezogen, Rekrutin Walders?«
    »Nein, Sir.«
    »Warum nicht?« Es kommt wie ein linker Haken.
    »Ich war total überrascht, Sir. Ich habe ehrlich nicht
erwartet, ihn so plötzlich vor mir zu sehen und…«
    »Irgendwie scheint mir das nicht in das Bild Ihrer angeblich
ausgezeichneten Trainingserfolge zu passen.«
    »… und ich war völlig starr vor Schreck, als ich
sah, was er in der Hand trug.«
    »Was er angeblich in der Hand trug«, wirft eine
der Frauen ein, aber im selben Augenblick sagt Doktor Clementi:
»Und was trug er in der Hand?« Und so kann ich die alte
Schraube ignorieren. Angeblich! Daß ich nicht lache!
    »Er trug einen Käfig, Sir. Einen dieser superleichten
Plastikkäfige mit E-Schloß und so dünnen Stäben,
daß man sie kaum wahrnimmt.« Was heißen soll: Ich
hab’ alles ganz genau sehen können!
    »Und was befand sich in dem Käfig, Rekrutin
Walders?«
    Ich hole tief Atem. Jetzt kommt es. Es wissen hier zwar alle
schon, was ich jetzt sagen werde – soviel ist mir klargeworden,
als sie sich so sehr bemühten, mich zur Lügnerin zu
stempeln –, aber es ist dennoch mein großer Moment. Ich
hatte zwar vorgehabt, die Sache nach Strich und Faden auszuwalzen,
aber jetzt, da dieser große Moment gekommen ist, passiert etwas
ganz anderes: Ich bin einfach überwältigt von der Wucht der
Erinnerung. Diese Hände… diese Füße… Ein
Beben durchläuft mich, und ich höre meine eigene Stimme
– überhaupt nicht dramatisch, ja sogar ein bißchen
dünn und flau:
    »In dem Käfig waren drei Affen, Sir. Mit… mit
menschlichen Gesichtern und Händen.«
    »Ich verstehe«, sagt Doktor Clementi, als würde er
mir wirklich glauben. »Haben Sie so ausgesehen? Es ist

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