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In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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pervertieren< von der Regierung der
Vereinigten Staaten mannhaft und verläßlich in Schach
gehalten würden. Zugleich versicherte er ihnen ebenso
regelmäßig, daß dieselbe Regierung unbeirrt nach
einem Heilverfahren gegen Sterilität forschte.
    Ungeachtet dieser riskanten Gratwanderung war Leonards
Feststellung korrekt: er dachte. Ohne Unterlaß, bauernschlau
und engstirnig. Er sagte: »Ich denke, hiermit sind wir zu dem
Schluß gekommen, daß die Aussage der Rekrutin Walders als
nicht glaubwürdig zu werten ist.«
    »Ganz meine Meinung«, sagte Leah Janson vom Verband der
Pharmahersteller, die jedes Jahr Milliarden Dollar in Kampagnen
investieren, welche die Öffentlichkeit davon überzeugen
sollen, daß die Gentherapie-Medikamente, die sie erzeugen,
nichts – absolut nichts, aber schon gar nichts!
– mit irgendwelchen Techniken zu tun haben, die man dazu
benutzen könnte, >nichtmenschliche Monster< zu erschaffen.
»Die Vorgeschichte dieses Mädchens strotzt nur so vor
Lügen und Übertreibungen, um sich in Szene zu
setzen.«
    »Ich glaube, darüber herrscht grundlegende
Übereinstimmung«, stellte Satish Gupta vom Staatlichen
Gesundheitsamt fest, ein ehrbarer Mann, der sich intensiv mit der
weltweiten Spermienzahlenkrise beschäftigte. Seine
Forschungsarbeit, die sich darauf konzentrierte, die verminderte
Beweglichkeit der Spermien über eine künstliche Steuerung
der in-utero-Bedingungen wettzumachen, war einer der wenigen
Hoffnungsstrahlen in der aktuellen Finsternis. Ich hatte am
Nielson-Institut mit ihm zusammengearbeitet. Gupta war ein strenger
Verfechter der Wahrheit und hatte als echter Mann der Wissenschaft
nichts als Verachtung für Leute übrig, die es damit nicht
so genau nahmen – auch wenn es sich nur um die Wahrheit in Bezug
auf das Ausgangsverbot handelte.
    »Ich bin mir nicht ganz so sicher…«, begann der
Kongreßabgeordnete Paul Letine, aber er war ein Neuling, ein
Grünschnabel, erst zweiunddreißig und aus einem
unwichtigen Staat, und so hörte niemand auf ihn.
    Ich hingegen wurde vom Vizepräsidenten persönlich in den
Beirat bestellt, und zwar auf Empfehlung von Vanderbüt Grant,
einem der einflußreichsten Männer Washingtons. Grant
leitete die Bundesarzneimittelbehörde, die seit der
Haxilent-Tragödie zu großer Macht gekommen war. Haxilent,
eine gentechnisch hergestellte Arznei, die höchst wirksam gegen
Bluthochdruck eingesetzt wurde, hatte letzten Endes durch eine
völlig unvorhersehbare selektive Nebenwirkung 7243 Menschen
getötet. Und nun war die Behörde laut Eigenwerbung das
einzige, was zwischen unschuldigen Amerikanern und einer Wiederholung
dieser Art von rekombinantem Roulette stand. Für einen
Großteil der Öffentlichkeit stellten Grant und seine
Arzneimittelbehörde eine dünne rote Linie aus lauter Helden
dar.
    »Ich bin mir wirklich nicht so sicher…«,
wiederholte Grünschnabel Letine, was ich zum Anlaß nahm,
um rasch hinzuzufügen: »Und ich bin mir auch nicht so
sicher.« Die Mitglieder des Beirates sahen mich durch diese
halbmatte Glasscheibe an, die ein Kratzen an der Macht immer
aufrichtet. Die Augen blickten mich zwar respektvoll an, aber die
Stirnen waren gerunzelt.
    »Die Rekrutin Walders mag die Wahrheit sagen oder auch
nicht«, erklärte ich diplomatisch, obwohl ich
überzeugt war, daß sie nicht gelogen hatte. Diese Art von
jugendlich-dummer, selbstzerstörerischer Leidenschaft bedeutete
fast immer die Wahrheit. Lügner denken an Selbstschutz;
Soziopathen sind nicht so dumm. »Aber die Möglichkeit ist
durchaus vorhanden, daß sie genau das sah, was sie behauptete.
Geschaffen nicht durch eine Manipulation der Keimbahn, sondern durch
Vivifaktion.«
    Niemand wirkte überrascht; sie alle hatten das erwartet.
Vivifaktion ist jenes Fachgebiet, auf dem ich früher einmal
tätig war und der Grund für meine Mitgliedschaft beim
Beirat. Vivifaktion, die gentechnische Manipulation an menschlichem
Gewebe, ist die Hintertür zu einer Veränderung des lebenden
Menschen. Nicht vererbbar, demnach nicht illegal. Nicht ansteckend,
demnach nicht illegal. Aber auch nicht unbedingt
verantwortungsbewußt.
    Vivifaktion verändert die DNA nicht. Ebensowenig braucht man
dazu eine pharmazeutische Gentherapie, und so haben die
Arzneimittelhersteller wenig Freude damit. Daher steht die
Vivifaktion in direkter Konkurrenz zu grundlegenden Forschungen wie
jenen von Gupta, wenn es um die Dotierung durch öffentliche
Gelder geht. Und viele Menschen finden die ganze Sache

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