In grellem Licht
Aldani House
fünfzigtausend Dollar zu spenden. Mit soviel Geld könnten
wir vielleicht sogar eine neue Produktion für die kommende
Saison auf die Beine stellen!«
Ihre Augen glänzen. Die Aldani-House-Stiftung kommt zwar
für die wesentlichen Unkosten auf, aber nicht für solche
Extravaganzen wie eine komplett neue Produktion. Ich bin sehr
zerknirscht. Melita engagiert sich mindestens ebensosehr für
Aldani House wie wir Tänzer – vielleicht sogar
stärker. »Schon gut, Melita, ich gehe hin und mische mich
unter die Leute.«
»Sie werden noch mehr tun. Diese Frau hat darum ersucht, Sie
persönlich kennenzulernen. Sie ist eine große Bewunderin
von Ihnen. Also möchte ich, daß Sie mit ihr – und nur
mit ihr – eine halbe Stunde lang plaudern. Nein, machen Sie
nicht so ein Gesicht, sie ist eine sehr unterhaltsame
Person.«
Ich bin entsetzt. Eine geschlagene halbe Stunde! »Das schaffe
ich nicht!«
»Eine komplette halbe Stunde, Cameron! Ihr Name ist Mrs.
Justine Locke. Und machen Sie’s gut, mein Lieber!« Sie
winkt mir kurz zu und saust geschäftig und mit rauschendem
Abendkleid den Gang entlang, während ich dastehe und Joaquims
Eis mir in den Händen schmilzt.
Die Vorstellung läuft ganz ordentlich ab, obwohl Mitchell
Joaquims Rolle nicht wirklich gewachsen ist. Das verfallende New York
State Theater ist zu weniger als einem Drittel voll. New York ist
finanziell am Ende, sagt Rob; es ist möglich, daß das NYCB
gar nicht überlebt. Außerdem kämpft Laura sichtlich
mit den Tränen und stolpert bei einem simplen pas de chat. Aber Eric Carter, der Teufel soll seine makellosen Schultern
holen, tanzt den Jupiter wie der Gott selbst, und der dritte Satz der
Suite Europa besitzt soviel Kraft und Harmonie, daß das
karge Publikum von den Stühlen springt.
Hinterher begebe ich mich widerwillig und immer noch in meinem
schweißnassen Kostüm zur Promenade. Die Promenade ist ein
großer überdachter Innenhof, umgeben von Glaswänden,
die merklich schmutzig sind. Drei Reihen von schmiedeeisernen
Baikonen laufen an den Glaswänden entlang, aber sie sind zu
brüchig, um sie zu benutzen. Auf den Treppen, die mich dorthin
führen, sehen die mangelhaft geflickten Risse in den roten
Teppichen aus wie gefährliche Fallen für hochhackige
Schuhe. Ich komme an leeren Sockeln vorbei, auf denen, sagt Vivian
Vargas, einst überlebensgroße Skulpturen gestanden haben.
Von wem oder was, das weiß Vargas nicht, denn noch ehe sie dem
Ensemble beitrat, waren sie verkauft worden, um mit dem Erlös
die Unkosten des Lincoln Centers zu begleichen.
Die Beleuchtung ist düster, nur dort, wo der Empfang
stattfindet, ist es etwas heller – aber nicht wirklich hell.
Vielleicht finden das die Förderer der schönen Künste
romantisch.
Aber, bitte, lieber Gott, nicht diese gewisse Förderin! Wenn
Melita es so eingefädelt hat, daß ich mir irgendeine
reiche verliebte Gesellschaftsbiene vom Leib halten
muß…
Aber Justine Locke ist nicht verliebt, und sie ist auch nicht
jung. Zumindest siebzig, wenn nicht älter. Sie trägt ein
wunderschönes fuchsienrotes Abendkleid, sehr glatt und einfach,
ohne Holo-Zutaten und Schmucksteine. Ihre Augen sind tief
eingesunken, aber ihre Haut ist glatt – vermutlich dank
Vivifaktion. Scheu nennt sie mir ihren Namen. Und sie versteht
tatsächlich etwas vom Ballett.
»Was war heute Abend denn mit Tasha Riccio los?«
erkundigt sie sich, nachdem wir eine Weile geplaudert haben.
»Ich fand sie ein wenig außer Form.«
»Ganz recht.«
»Ich verfolge ihr Vorankommen schon seit einiger Zeit. Sie
zeigt gute Ansätze, nicht wahr? Außerdem sieht sie aus wie
meine Enkeltochter.«
Sie lächelt plötzlich – ein verschämtes
Lächeln, als wäre es dumm von ihr anzunehmen, ich
könnte mich dafür interessieren, daß Tasha wie ihre
Enkelin aussieht. Mit einemmal fühle ich mich viel wohler in
meiner Haut. Also sage ich: »Haben Sie ein Bild Ihrer
Enkelin?«
»Ach, das werden Sie doch nicht wirklich sehen
wollen!«
»Aber sicher!« Höflichkeit und Respekt sind seltene
Eigenschaften bei unseren Gönnern; sie wissen zu genau,
daß sie es sind, die das >Plätschern des Lebensflusses
in Gang halten<, wie Melita sagt.
Mrs. Locke zieht ein Päckchen Hologramme aus ihrer
Abendtasche, und auch das finde ich irgendwie rührend, daß
sie sie sogar in ihrem kleinen goldenen Täschchen mit sich
herumschleppt. Die ältere ihrer Enkelinnen sieht
tatsächlich aus wie Tasha. Aber auch die andere, die
Dreijährige, ist
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