In grellem Licht
zauberhaft.
»Sie mögen Kinder«, sagt Mrs. Locke, und in ihren
freundlichen alten Augen liegt ein Lächeln. »Haben Sie
Geschwister?«
Sie werden sich noch tausendmal fragen, was in diesen
Erinnerungen war… »Nein. Nein.«
»Schade. Ich kann mich in diesen Zeiten wirklich
glücklich schätzen, zwei Enkelkinder zu haben. So viele
meiner Freunde können das nicht. Obwohl das jüngere…
adoptiert ist. Vielleicht haben Sie bemerkt, daß es keine
Ähnlichkeit mit ihrer Schwester gibt.«
»Ja, habe ich.«
»Sie kam zu uns über… eine komplizierte Route.
Nicht ganz die übliche. Aber vielleicht mißbilligen Sie
einen Wunsch nach Kindern, der so stark ist, daß man die…
Gesetze beugt.«
»Nun, eigentlich nicht«, sage ich. Ich habe noch nie
darüber nachgedacht. Die freundlichen alten Augen blicken mich
plötzlich sehr scharf an. Sie sagt nichts, und so fühle ich
mich gezwungen, das Schweigen zu unterbrechen. »Ich meine…
nun ja, ich finde, man sollte die Gesetze zum Schutz der Kinder nicht
beugen. Die Vorschriften sind dazu da, die Kinder zu schützen,
nicht wahr? Vermutlich weiß der Staat schon, wozu die Gesetze
da sind.« Ich fühle mich wie ein Idiot. Das Thema
interessiert mich nicht, und so habe ich wirklich keine Ahnung, wie
man darüber Konversation macht. Ich bin schwul; ich werde nie
Kinder haben.
»Nun, vielleicht haben Sie recht«, meint Mrs. Locke
nachsichtig und steckt die Hologramme zurück in ihre
Abendtasche. »Mein Gott, gerade haben wir uns noch über das
Talent der hübschen jungen Tasha unterhalten, und jetzt sind wir
so ernst geworden! Irre ich mich, und meine alten Augen haben mich
getäuscht, oder hat sie tatsächlich bei der Promenade im
zweiten Akt gepatzt?«
Ich atme auf; diese Konversation gefällt mir besser.
»Ja, stimmt. Aber normalerweise ist sie sehr gut.«
»Nun, ich denke, niemand kann die ganze Zeit in Topform sein.
Obwohl Sie selbst das offenbar schaffen. Ich habe Sie noch nie bei
einer schlechten Leistung gesehen.« Sie lächelt –
bewundernd und ein wenig schüchtern.
»Oh, vielen Dank!«
»Ich verfolge Ihre Auftritte seit Jahren, wissen Sie, immer
wenn ich meinen Sohn in Washington besuche. Und Sie sind es auch, der
mich zu der Überzeugung brachte, daß der große
Balanchine sich geirrt hat.«
»Als er sagte, >das Tanzen ist eine Frau«
»Das Tanzen ist Muskeln und Knochen, und Tänzer haben
einfach mehr von beidem.«
Ich kann nicht anders, ich muß laut auflachen. Von der
anderen Seite der Promenade lächelt Melita anerkennend
herüber.
Mrs. Locke sagt: »Es hat mir unendliche Freude gemacht,
einmal mit Ihnen plaudern zu dürfen, Cameron, aber ich
weiß, ich darf Sie nicht ganz allein mit Beschlag belegen. Nur
eine letzte Frage, wenn Sie erlauben.«
»Nur zu«, sage ich, weil ich sie ungeachtet meiner
Voreingenommenheit sympathisch finde.
Sie legt mir die Hand auf den Arm. »Im vergangenen Winter war
ich zu einem ausgedehnten Besuch in Washington. Es ist komisch, aber
Sie wissen sicher, wie das ist, wenn man ein halbes Jahr bei seiner
Familie zu Besuch ist. Ich hatte gehofft, den gelegentlichen
häuslichen Zänkereien zu entgehen, indem ich mir einen
Ihrer Auftritte ansehe. Aber obwohl ich jede Aufführung in
Aldani House von Jänner bis April besuchte, habe ich Sie kein
einzigesmal tanzen sehen. Wie kommt das?«
Ich erstarre. Das waren die Monate nach meiner
Erinnerungs-Operation und nach dem… was davor passiert war. Ich
denke nie darüber nach, wenn ich es verhindern kann.
Mrs. Lockes Augen saugen sich an meinem Gesicht fest. Sie sagt:
»Oh, entschuldigen Sie – Sie möchten nicht
darüber sprechen.«
»Nein…«, sage ich, »ich war…
krank.«
»Ich verstehe. Tut mir leid, daß ich gefragt habe, es
ist offenbar etwas, das Sie aufwühlt. Ich nehme an, Sie sprechen
mit niemandem darüber.«
»Ganz recht.«
»Nicht einmal mit denen, die Ihnen nahestehen und die Sie
lieben?« fragt sie mit einem kurzen schelmischen Seitenblick auf
Rob, und es ist so offensichtlich, daß sie sich um einen
unbeschwerten Tonfall bemüht, um mich wieder aufzuheitern,
daß ich eine plötzliche Woge der Herzenswärme
empfinde. Sie ist wirklich eine liebe alte Dame.
»Nein, nicht einmal mit denen, die mir nahestehen und die ich
liebe.« Ich versuche, ihren Tonfall nachzuahmen. »Und auch
nicht mit denen, die mir fernstehen und die ich
fürchte.«
»Ich kann nicht glauben, daß es solche Menschen
gibt.«
»Sie wären überrascht«, antworte ich
lächelnd, aber es
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