Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In grellem Licht

In grellem Licht

Titel: In grellem Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
immer noch von Vivian Vargas. Laura ist
immer noch beleidigt und beißt auf ihrer vollen Unterlippe
herum. Joaquim, der für mindestens zwei Wochen außer
Gefecht ist, sieht uns wehmütig zu, das Bein auf einem Stuhl
hochgelagert. Es ist kein gutes Training.
    Und hinterher fängt Melita mich in dem schäbigen,
tristen Aufenthaltsraum unter der Bühne ab und sagt mit eisiger
Miene: »Cameron, ich habe Ihren Gast von gestern Abend, Justine
Locke, überprüft. Der Name scheint nirgendwo auf. Es
wundert mich nicht, daß sie erst eine Stunde vor Beginn der
Vorstellung mit ihrer Bitte an mich herangetreten ist – sie
wußte, daß ich nicht die Zeit haben würde,
Nachforschungen anzustellen.«
    »Sie hat gelogen?« frage ich dumm.
    »Sie hat gelogen. Schon wieder einer von den verrückten
Fans, die lügen und betrügen, um eine halbe Stunde mit
einem der Tänzer plaudern zu können. Und von Ihnen hat sie
bekommen, was sie wollte.« Indigniert raschelt Melita durch den
Gang davon, als wäre die Enttäuschung namens Mrs. Locke
meine Schuld.
    Ich werde wirklich froh sein, wenn wir wieder nach Washington ins
Aldani House zurückkehren.

10
    NICK CLEMENTI
     
    An dem Morgen, an dem ich nach Atlanta abreiste, um meine Tochter
Sallie zu besuchen, schien es anfangs, als würde ich nicht
einmal bis zum Flughafen kommen. Schon als ich duschte, mich
ankleidete und ein paar Sachen packte, mußte ich des
öfteren pausieren und mich ausruhen. Und das Telefon hörte
nicht auf zu klingeln. Der Beirat, Freunde, Geschäfte. Die
einzigen Menschen, mit denen ich nicht sprach, waren Maggie und
Vanderbilt Grant.
    Ich war froh, nicht mit Maggie sprechen zu müssen – um
ehrlich zu sein, ich hatte getan, was ich konnte, um es zu vermeiden.
Sie verbrachte gerade drei Tage bei ihrer Schwester in Louisville. Am
Tag ihrer Abreise war ich wieder zu einer ambulanten Behandlung ins
Krankenhaus gefahren. Man hatte das neuerkrankte Gewebe aus meinen
Nasennebenhöhlen, von wo die Mukor-Mykose ihren Anfang nimmt,
entfernt und mir frische Depots mit Antimykotika und
Blutzuckerstabilisatoren unter der Haut eingepflanzt. Man hatte einen
Hirnscan durchgeführt. Ich hatte mich geweigert, die Resultate
zu erfahren. Ich wollte auch nicht, daß Maggie mich jetzt schon
ausfragte; zur rechten Zeit würde ich es ihr sagen. Zu einem von
mir gewählten Zeitpunkt. Es war nicht der Tod, denn ich stand
auf – und alle Toten liegen… Emily Dickinson. Doch Vans
Schweigen machte mir Sorgen. Er hatte mir die versprochenen
Informationen über das mögliche Aufscheinen von Cameron
Atuli in den Akten des FBI nicht zukommen lassen. Weil er nichts
gefunden hatte – oder weil er etwas gefunden hatte? Wie auch
immer, diese Reise nach Atlanta unternahm ich, um Van Grant auf Trab
zu bringen.
    Endlich war ich bereit, zum Flughafen zu fahren, als John anrief.
»Dad?«
    »Ja, John. Hör mal, kann ich dich später
von…«
    »Es ist ein Notfall.«
    Die Worte, die kein Vater je hören möchte. Johns Gesicht
wirkte hager und verstört. Ich tastete nach dem Stuhl hinter
mir. »Sprich.«
    »Es ist wegen Laurie. Sie hat so eine Art
Nervenzusammenbruch.«
    »Wo ist sie? Hast du schon einen Arzt gerufen?«
    »Sie braucht keinen Arzt, Dad! Das ist deine
Lösung für alle Probleme! Das ist etwas anderes, verdammt
noch mal!«
    Ich hielt mich zurück. »Sag mir einfach, was geschehen
ist, John.«
    »Sie weint seit zwei Tagen ohne Unterlaß. Seit die
Goldstones – unsere Nachbarn – ihr Baby bekommen haben.
Laurie ging hinüber, um das Baby anzusehen, kam zurück und
fing an zu weinen. Und hat nicht mehr aufgehört damit.«
Seine Stimme klang bedrückt. »Es war nicht einfach hier
für mich.«
    Ich versuchte, mir Laurie vorzustellen – die sonnige, zarte
Laurie –, wie sie zwei Tage lang schluchzte, und mir tat das
Herz weh. »Was kann ich tun, John?«
    »Rede mit ihr, Dad. Auf dich hört sie
immer.«
    »Natürlich rede ich mit ihr, wenn du meinst, daß
das hilft. Aber jetzt muß ich zum Flughafen, mein Flug geht in
etwa einer Stunde, und…«
    »Ich schicke Laurie zum Flughafen, damit du dort mit ihr
reden kannst.«
    Diese Idee fand ich nicht besonders gut. Eine überfüllte
Schalterhalle oder Cafeteria, die Zeit, die drängt, Laurie in
Tränen aufgelöst… Aber noch etwas erschien mir
merkwürdig. »Was meinst du, du >schickst< sie? Willst
du sie nicht selbst hinbringen?«
    »Ich kann nicht. Ich habe ein
Vorstellungsgespräch.«
    Tief Atem holen. Nicht die Beherrschung verlieren.

Weitere Kostenlose Bücher