In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
ewigen Mysterium an, einer Geschichte, in der die Lebenden und die Toten, die Verrückten und die Normalen, die Realen und die Geister auswechselbar blieben – und an jenem Nachmittag, als wir zusammenhockten und Kaffee tranken, war die Geschichte, die er mir erzählte, zwar magisch, aber zugleich auch sachlich korrekt. Die Geschichte eines Jungen, den ich kannte, und eine Tragödie so alt wie die Erde selbst, eine Geschichte, in der es auf die Namen der Beteiligten kaum ankam. Damals wusste Kyrre nicht, wohin sie führte , doch während er erzählte, erinnerte ich mich an mein Gefühl beim Aufwachen, dieses Gefühl der Furcht, das ich allzu gedankenlos abgetan hatte. Irgendwas stimmte tatsächlich nicht, nur hatte ich nicht gewusst, was es war. Niemand hatte das.
Er begann erst, als wir in die Hytte gegangen waren, und selbst dann musste er geglaubt haben, mir bloß etwas zu meiner Unterhaltung zu erzählen. » Ich denke mal, von der Sache mit Mats Sigfridsson hast du schon gehört?«, fragte er, während er sich die Hände wusch.
Ich muss zugeben, in dem Moment setzte mein Herz einen Schlag lang aus. Ich wusste nicht, was mit Mats geschehen war, wusste aber, dass jemand ertrunken war, und es brauchte nicht viel, eins und eins zusammenzuzählen. Ich stellte den Kaffeebecher ab. » Was ist mit ihm?«
Kyrre drehte sich um. » Du hast also noch nichts davon gehört?« Seine Miene war gelassen, doch sah ich ihm an, dass er nachdachte, sich fragte, wie er weiter vorgehen solle.
Ich schüttelte den Kopf. » Nein«, sagte ich und versuchte, so neutral wie möglich zu klingen. » Was ist passiert?« Ich griff nach der Kaffeekanne und schenkte mir nach. Schließlich bedeutete mir Mats Sigfridsson nichts. Er war bloß ein Junge aus meiner Klasse. Er war kein Freund, erst recht nicht mein Freund; und falls ich überhaupt je an ihn dachte, dann nur, weil ich ihn ein bisschen seltsam fand. Es erschreckte mich, wenn ich sah, wie er, kaum von seinem Bruder getrennt, in einen merkwürdigen, apathischen Zustand verfiel, innerlich erschüttert und distanziert vom Rest der Welt, beinahe beängstigend allein. Und mir gefiel nicht, wenn ich mich in der Klasse umdrehte und ihn dabei ertappte, wie er mich anglotzte oder durch mich hindurchstarrte, als wäre ich Luft. Ich will dem nicht allzu viel Bedeutung beimessen, doch gab es Situationen, da sah ich ihn zufällig in einer der hinteren Ecken des Klassenzimmers hocken und mit abwesendem, leicht verwirrtem Blick in die Welt stieren, und in solchen Momenten vermutete ich in ihm eine verwandte Seele, denn er mochte die Stille und war auch gerne allein. Es stimmt, ich hatte nur selten mit ihm zu tun; trotzdem gab es Augenblicke, da begegneten wir uns mit Bedacht und eigenartiger, leicht besorgter Neugier – fast wie Waldtiere, die sich zufällig auf einer Lichtung treffen und aneinander vorübermüssen, wachsam, fasziniert und manchmal sogar ein wenig ehrfürchtig. Ich weiß nicht, was mich an ihm interessierte, und ich hatte nicht den geringsten Grund zu der Annahme, dass er ein mehr oder weniger ähnlich freundliches Interesse an mir hegte. Ich finde nur, er war ein Junge, der vielleicht begriffen hätte, wie ich die Welt sah, falls ich ihm je nahe genug gekommen wäre, sie ihm erklären zu können.
Natürlich rede ich hier nicht von so etwas wie einer Liebesbeziehung. Er fühlte sich nicht von mir angezogen und ich mich ganz bestimmt nicht von ihm. Tatsache ist, mit Anziehung hatte ich es damals sowieso nicht so, auch nicht mit all dem anderen, von dem Menschen meines Alters angeblich besessen sind. Mit fünfzehn, sechzehn hatte ich ein paar Beziehungen, die mir nahegingen, aber in diesem Sommer war davon keine Rede mehr, ebenso wenig wie jetzt davon die Rede ist: keine Liebesgeschichte, keine kleinen Geheimnisse und keine spätabendlichen Geständnisse am Telefon, auch keinen Sex. Ehrlich gesagt, dieses ganze Gerede von romantischer Liebe lässt mich kalt. Sie widert mich nicht gerade an, das nicht. Ich halte mich auch nicht für unterdrückt, einsam oder frigide, ich bin einfach nur nicht interessiert. Damals wurde ich den Gedanken nicht los, dass es sich dabei um einen Trick handelte – dass Liebe zu dem gehörte, was ich haben sollte, so wie ich sauberes, fülliges Haar oder eine neue Stereoanlage haben wollte. Eine Beziehung kam mir wie eines dieser Produkte vor, die man mir anzudrehen versuchte, und auch heute geht es mir ähnlich. »Ich habe noch nicht den Richtigen
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