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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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erste Sommerbrise und das Gekreisch der Seeschwalben und Austernfischer vom Meer hereindrang. » Ich war überrascht, sie mit ihnen zusammen zu sehen, aber bestimmt gibt es dafür eine ganz simple Erklärung, und sicher hat es auch nichts zu tun mit … » Ich dachte einen Moment nach. Was wollte ich sagen? Mit Sex? Liebe? Eine dieser Dreiecksgeschichten, wie man sie im Kino sieht?
    Kyrre lächelte und tätschelte meine Hand. » Nun«, sagte er, » was es auch gewesen sein mag, der Junge hat jetzt seinen Frieden gefunden.« Er stand auf. » Außerdem«, fuhr er fort, » sind es nicht die Toten, mit denen wir Mitleid haben sollten.«
    Ich nickte. » Armer Harald. Ich weiß gar nicht, wie er ohne Mats zurechtkommen wird.«
    Kyrre erwiderte nichts, sammelte unsere Tassen ein, trug sie zum Spülbecken und holte dann die Kaffeekanne. » Immerhin ist er nicht allein«, sagte er dann, was mich verwirrte. Dachte er an Maia? Oder meinte er mich? Kyrre blickte auf die Küchenuhr an der Wand. » Frag mich nur, wo mein Gast bleibt. Er kommt für den ganzen Sommer, weißt du.«
    » Ehrlich?« Das war eine Überraschung. Normalerweise blieben seine Gäste nur einige Wochen, höchstens einen Monat. » Bis wann?«
    » Ende September. Er hat im Voraus bezahlt. Sagt, er braucht einen Ort, an dem er arbeiten kann, ein bisschen Frieden und Ruhe findet.«
    » Was für Arbeit?«
    » Hat er nicht gesagt.«
    » Schade«, erwiderte ich. Ich war neugierig. So lange hatte meines Wissens noch niemand die Hytte gemietet. » Aber das ist doch gut, oder nicht?«
    Kyrre nickte. » Hoffe ich doch«, sagte er, wohl, um das Schicksal nicht herauszufordern. Dafür kannte ich ihn lang genug. Er war der Letzte, den man dabei erwischt hätte, dass er etwas für gegeben hielt. Er machte sich Sorgen, um gegen Ärger gewappnet zu sein, und wenn es dann Ärger gab, nahm er nur als Bestätigung dafür, dass er sich nicht genügend Sorgen gemacht hatte. Er warf mir einen seiner bösen Blicke zu. » Kommt schließlich ganz darauf an, wie er so ist.« Ich lachte, und er tat, als wäre er beleidigt. » Man weiß ja nie«, sagte er. » Könnte ja auch ein Monster sein.«

***
    Als ich gegen vier Uhr nach Hause kam, waren die Freier schon lang fort. Mutter hielt sich in ihrem Atelier auf, und im Haus herrschte jene Atmosphäre, wie sie manchmal aufkam, eine Atmosphäre, als wäre es, wenn nicht ganz verlassen, so doch nur von Phantomen bewohnt. Es ist eine Atmosphäre, die Mutter meiner Meinung nach bewusst heraufbeschwört, denn von dem Moment an, in dem ein Besucher vor unserem Tor steht, überkommt ihn dieses Gefühl, dass die Dinge nicht sind, was sie zu sein scheinen, ein Gefühl, als beruhte hier alles auf Illusion. Was durchaus nicht täuscht, denn ebendas ist es: eine Illusion, ein unwahrscheinliches Haus in einem unwahrscheinlichen Garten, beides in nördlicher Wildnis aus dem Nichts heraufbeschworen. Was immer Mutter schafft, ist ein Werk der Kunst, also ist alles per definitionem eine Illusion. Der Garten zum Beispiel. Nach sechs Monaten Kälte und Dunkelheit weckt sie ihn jedes Jahr wieder von den Toten auf, füllt, was verrottet war, mit Sträuchern, Mohn und bunten, einjährigen Pflanzen, die sie in dieser eisigen Erde zu wachsen und zu wurzeln nötigt. Viele tausend Kilometer weit fort von den alluvialen Ebenen und sonnenbeschienenen Terrassen, auf die sie gehören, damit es rot, orange und golden vor jenen Zaunpfosten und behauenen Steinen leuchtet, die den inneren, bestellten Bereich unseres Grundstücks von der absichtlich naturbelassenen Wildnis dort draußen trennen. So ist es heute, auch wenn nur mehr selten Besucher kommen, und so war es damals. Was sie vollbrachte, war stets ein Wunder, stets eine Illusion: Harstad schenkte ihr Töpfe mit arktischem Mohn und Steinbrechsetzlingen und sagte, sie eigneten sich viel besser für dieses Klima als die Exoten, die sie bevorzugte, doch Mutter lachte nur und ließ sich nicht beirren. Ihr war egal, was es kostete, sowohl an Geld wie an Arbeit. Sie wollte satte Farben, wollte riesige, knallige Blumenköpfe und zarte, süß duftende Pflanzen, die zu ziehen niemand sonst in unserer Gegend auch nur erwog – und durch Hingabe und schiere Willenskraft machte sie das Unmögliche möglich. In manchen Jahren wurden all ihre Pläne über Nacht durch einen heftigen Sturm oder Regenguss vereitelt, doch räumte sie dann nur die Beete frei und begann von vorn. Harvard sagte, unser einheimischer Mohn sei ebenso fein

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