In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
zu sagen hatte, und sie wollte, dass ich das wusste, selbst wenn ich ihr ansehen konnte, dass sie es vorgezogen hätte, die Sache auf sich beruhen zu lassen.
» Du hast gemeint, das sei etwas gewesen, woran du nicht gedacht hättest«, sagte ich.
Sie nickte.
» Ich habe damals nicht verstanden, was du damit gemeint hast«, sagte ich, als bäte ich sie, mir noch einmal ein mathematisches Problem zu erklären, das ich nicht begriffen hatte.
» Tja … Bis du danach gefragt hast, habe ich nie daran gedacht. Und hätte ich es getan, wäre die Antwort › nein‹ gewesen.«
» Du hast ihn nicht geliebt?«
» Nein, habe ich nicht, aber ich habe auch nicht darüber nachgedacht, bis du mich gefragt hast.«
» Hast du denn überhaupt jemals jemanden geliebt? Ich meine …«
Sie lachte. » Ich weiß, was du meinst«, sagte sie. » Und die Antwort lautet › ja‹, früher einmal, vor sehr, sehr langer Zeit habe ich jemanden geliebt.« Sie beugte sich vor, und ich dachte, sie wolle mir die ganze Geschichte mit all ihren traurigen oder schönen Einzelheiten erzählen, doch sie blieb stumm.
» Was ist passiert?«, fragte ich deshalb nach einem Moment.
» Nichts, eigentlich«, sagte sie. » Es hat nicht sehr lang gehalten, und ich bekam keine Gelegenheit herauszufinden, was ich wirklich dachte …« Sie lächelte erneut und stand dann auf. » Ich wollte mir gerade einen Kaffee machen. Möchtest du auch eine Tasse?«
Ich nickte. Ich wusste, dass sie mir nicht ausweichen wollte – im Gegenteil, sie wollte mir zu verstehen geben, dass sie unser Gespräch ernst nahm, ihm das entsprechende Gewicht beimaß und es nicht so überstürzt anging, wie ich es tat. Dies sollte eine ernsthafte Unterhaltung werden, und auch wenn sie dazu keine Lust hatte, wusste sie doch, dass ich dieses Gespräch brauchte. Vielleicht wollte sie einen Augenblick nachdenken oder mit ihren Gefühlen ins Reine kommen, aber das wusste ich nicht, weil ich einfach keine Ahnung hatte, was sie dachte oder fühlte und ob sie überhaupt irgendetwas dachte oder fühlte, wenn sie nicht malte. Sie setzte den Hut ab und sah zum Himmel auf. » Das gute Wetter hält sich«, sagte sie, dann ging sie voraus in die Küche und setzte den Kessel auf.
Das Wort, das am häufigsten fiel, wenn man sich in jenen Tagen über Mutter unterhielt, war schön. Und es stimmte: Obwohl ich sie jeden Tag sah, konnte es mich immer noch überraschen, wie schön sie war, selbst wenn sie nächtelang nicht geschlafen hatte. An jenem Tag sah sie müde aus, doch kam es darauf nicht an. Sie war nicht schön wie Frauen in Modezeitschriften, sondern auf eine Art, die von Müdigkeit eher noch betont wird, und selbst für mich war damals unübersehbar, dass sie mit dem Alter nur noch schöner werden würde. Und obwohl sie wusste, wie andere sie sahen, obwohl jeder Zeitungsartikel, der über sie geschrieben wurde, erwähnte, wie schön sie war, dachte sie nie daran. Ihr fehlte diese Aura von manch schönen Menschen, die oft angesehen werden: Sie hielt nie inne, um sich in einem Spiegel zu betrachten oder sich mit jenen zu vergleichen, die sie so offen bewunderten. Unter ihren Arbeiten gab es kein Selbstporträt, und soweit ich wusste, hat sie auch nie eines begonnen. Sie besaß Regal um Regal mit Büchern über Porträtmalerei, und viele ihrer Lieblingsmaler – Tizian, Rembrandt, sogar Sohlberg – haben sich immer wieder selbst zum Thema gemacht, doch glaube ich nicht, dass ihr je dieser Gedanke gekommen ist.
Sie sagte nichts mehr, bis der Kaffee aufgegossen war. Dann stellte sie zwei Tassen auf den Tisch, platzierte die Kanne exakt in der Mitte dazwischen und setzte sich. Anschließend schaute sie aus dem Fenster, lächelte über etwas im Garten oder vielleicht draußen auf dem Fjord und wandte sich dann mir zu. » Ich nehme an, es geht um die Post, die du bekommen hast«, sagte sie. In ihrer Stimme schwang kein Gefühl mit; sie gab sich ganz sachlich, doch verstand ich das nicht als Gleichgültigkeit. Vielmehr wusste ich, dass sie die Ruhe bewahren und es mir leichter machen wollte. Ich sollte wissen, dass es ihr nichts ausmachte – der erste Brief, den ich geheim gehalten hatte, und all das, was aufgrund des in ihm Gelesenen geschehen sein mochte –, nicht aber, dass es ihr egal war. Sie griff nach der Kaffeekanne und begann, uns einzuschenken. » Was will er?«, fragte sie dann fast zu ruhig.
» Der Brief ist nicht von ihm«, antwortete ich. » Er kommt von einer Frau namens Kate
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