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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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ungewöhnlichen Muttern oder Schrauben, die fortzuwerfen er nicht übers Herz brachte, ein Gewirr aus Kupferkabeln und alten Angelleinen, Schuhkartons mit Puppen und Puppenköpfen aus der Zeit, als er noch Spielzeug machte und reparierte. Es gab Glasscheiben und Blechbüchsen mit Angelhaken und Ködern; in einer reichlich mitgenommenen Wäschekiste lag ein Stapel sonnengebleichter Alben und vergilbter Briefumschläge, randvoll mit alten Zeitungsausschnitten und körnigen Schwarzweißfotos von Leuten, die ich nie zuvor gesehen hatte, deren Namen aber vermutlich mit einigen Namen auf dem alten Friedhof in Tromsø übereinstimmten; Menschen mit uralten, derart tief gekerbten und verwitterten Gesichtern, dass sich kaum sagen ließ, ob sie Frauen oder Männern gehörten, stocksteif dastehende Jungen, die im Sonntagsanzug in die Kamera blickten und sich Mühe gaben, blasiert zu wirken, hübsche Mädchen, die zu alten Schwestern oder Tanten heranwuchsen. Das Beste aber war das lange Regal mit Kinderbüchern, von denen einige selten und sicher auch wertvoll, andere stockfleckig und ziemlich zerfleddert waren. Ohne Rücksicht auf ihren Zustand standen sie Seite an Seite, und Kyrre schienen sie alle gleich wichtig zu sein, wenn auch nicht so wichtig, dass es ihn störte, wenn ich eines mitnahm und manchmal wochen-, ja monatelang behielt. Allerdings war ich zu jung, um zu begreifen, wie wichtig sie ihm wirklich waren. Peters Jul blieb nicht das beste Buch, das er mir auslieh, doch fand sich darin das wunderschöne, grauweiße Bild einer Straße mit Kirchturm und schneebedeckten Dächern, in dem winzige Figuren auf einem Feld von makellosem Weiß ihren alltäglichen Beschäftigungen nachgingen, unbekümmert, isoliert und immun gegen den Gang der Zeit.
    Ich glaube, das war es, was ich an diesen Büchern liebte: Sie kannten keine Zeit.
    » Ach«, sagte er, als er das Buch in meiner Hand sah, und tat überrascht, weil ich daran gedacht hatte, es ihm zurückzubringen. Ich wusste, er hielt die Bücher nicht für Leihgaben, und ich achtete stets darauf, sie in gutem Zustand wieder bei ihm abzuliefern. » Peters Jul.« Er nahm mir das Buch ab, hielt es auf Armeslänge von sich und betrachtete liebevoll den Einband. » Hat es dir gefallen?« Wie der komische Opa in einem alten Film schob er sich die Brille auf die Nasenspitze, schlug das Buch auf und begann zu lesen:
    » Det er den danske moder,
    hvem bagen bliver sendt;
    og, hvorom vi vil bede,
    det ved hun vist omtrent …«
    Er verstummte. » Erinnerst du dich?«
    » Nar hun blot den vil vise
    sin datter og sin pog,
    da bliver rigt og proegtigt …«
    Ich schüttelte den Kopf. » Du hast mir doch gesagt, ich bräuchte die Reime nicht zu lesen.«
    » Hab ich das?«
    » Ja.«
    Er schielte mich ernst über den Buchrand an. » Und du hast natürlich genau das getan, was dir gesagt wurde«, erwiderte er. » Wie immer.«
    Ich lächelte. » Natürlich, du weißt doch, dass ich mich an deinen Rat halte.«
    Er spitzte die Lippen und fuhr fort:
    » Hvert billed I vor bog,
    og, dersom hun vil laese
    den simple, ringe sang,
    ja, sa far verset vinger
    ved hendes stemmes klang;
    thi end bestadnig gaelder
    de gamle, gyldne ord…«
    » Ich weiß noch, wie deine Mutter dir das vorgelesen hat«, sagte er. » Da warst du sehr klein.«
    » Quatsch, weißt du nicht.«
    Die Worte platzten mir etwas zu scharf heraus, aber ihm schien es nichts auszumachen. Er lächelte. » O doch. Als du zum ersten Mal zu mir gekommen bist. Sie hat schon immer eine schöne Stimme gehabt, deine Mutter.«
    Ich glaubte ihm wirklich kein Wort, da ich mich nicht daran erinnern konnte, dass Mutter mir Kinderbücher vorgelesen hätte, nur englische Klassiker wie Lewis Carroll und Dickens’ Weihnachtsromane. Und wenn sie auf Norwegisch vorlas, entschied sie sich stets für Erwachsenengeschichten über Wikinger oder griechische Sagen und Mythen aus ihrer eigenen Bibliothek. Sie hat mich nie wie ein Baby behandelt, hat nie rührselige alte Reime über Mutter und Kind zitiert. » Warum sollte sie mir aus einem dänischen Buch vorlesen?«, fragte ich. » Das ist für sie doch viel zu sentimental …«
    Er ließ das Buch zuschnappen. » Akkurat «, sagte er, » aber sie hat es trotzdem gelesen.«
    In diesem Moment war ich versucht, ihn zu fragen, was denn zwischen ihnen vorgefallen war, damals, als er aufhörte, so oft in unser Haus zu kommen, doch schien er plötzlich in Gedanken versunken. In Gedanken oder Erinnerungen. » Was

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