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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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ließen wir uns treiben und wichen dem noch unerledigten Thema aus – bis Mutter kam, in der Tür zu meinem Zimmer stehen blieb und offensichtlich vorhatte, im Vorbeigehen noch wenigstens eine Sache klarzustellen. Ich blätterte gerade in einem Buch über die Geschichte der russischen Revolution, was sie zweifellos unpassend fand – das Buch lag aufgeschlagen auf einer Seite mit einer körnigen Fotografie, die etwa zehn tote, steif und halb aufrecht im Schnee liegende Bolschewiken zeigte –, und sie beugte sich einen Moment über das Bild, während sie vermutlich darauf wartete, dass ich das Buch zuklappte. » Ich wollte nicht sagen …« Dann brach sie ab und überlegte kurz. » Du musst nicht fahren, natürlich nicht. Es ist allein deine Angelegenheit. Ich wollte nur sagen, wenn du fahren willst, dann ist das für mich in Ordnung.«
    » Das ist nicht allein meine Angelegenheit«, sagte ich. » Das geht uns beide an, würde ich mal behaupten.«
    » Nun ja, es geht mich etwas an, dass er dich sehen will«, erwiderte sie leise.
    » Wir wissen nicht, ob er mich sehen will«, sagte ich. » Vielleicht ist das allein ihre Idee. Schließlich hat sie geschrieben.«
    » Egal, es kommt nicht darauf an, wessen Idee es war. Ich will nur nicht, dass irgendwer hierher kommt.«
    Ich seufzte, da ich es zunehmend schwierig fand, ihr zu verheimlichen, dass ich langsam die Geduld verlor. » Er liegt im Krankenhaus, und allem Anschein nach ist er zu schwach zum Reisen.«
    » Bist du sicher? Hat sie das geschrieben?«
    Ich war mir nicht sicher, nicht so ganz, da mir Kate Thompson keine Einzelheiten über seine Krankheit mitgeteilt hatte, aber das wollte ich Mutter nicht sagen, weshalb ich lieber schwieg. Ich zuckte nur mit den Achseln und wandte mich wieder dem Buch mit den russischen Fotografien zu. Hinter der Reihe Toter stand eine Gruppe von acht bis zehn ähnlich gekleideter Männer – Ledermantel, Schiebermütze – und posierte für die Kamera. Ich fragte mich, ob sie die Mörder oder ob sie Bolschewiken waren, die ihre toten Kameraden nach einem Gemetzel gefunden hatten.
    » Überrascht es dich wirklich, dass er nach all der Zeit seine Tochter kennenlernen will?«
    » Er hat mich bislang nicht sehen wollen«, sagte ich. » Was ist jetzt anders?«
    Mutter wiegte den Kopf, doch konnte ich nicht sagen, ob sie nicht mit dem übereinstimmte, was ich über meinen Vater gesagt hatte. » Er ist krank«, sagte sie dann und blickte sich im Zimmer um, als suchte sie etwas. Ich spürte, dass es nichts Bestimmtes war, kein spezifisches Möbelstück, kein Bild an der Wand oder Buch im Regal, sondern ein allgemeiner Eindruck, eine Atmosphäre. Das Gefühl, daheim zu sein, hierher zu gehören. Mutter liebte unser Haus – das Haus, das sie geschaffen hatte –, liebte es mehr als alles andere auf der Welt. Es war ihr so wichtig wie ihre Arbeit, war eine Verlängerung der Arbeit, jener Teil ihrer Kunst, der einschloss, was die Kunst ausschloss: ihre Tochter, ihre Freunde, ihren Besitz. Im Atelier wurde sie zur heimatlosen Einzelgängerin, das hatte sie oft genug gesagt, und ich wusste, es stimmte. Alle übrigen Sorgen wurden beiseitegewischt, wenn sie sich an die Arbeit machte, alle Verbindungen mit der Außenwelt gekappt. Hielt sie sich allein in dieser inneren Welt auf, wurde sie tatsächlich zu einem Niemand.
    Sie drehte sich zum Fenster um, wobei das Licht vom Fjord über ihr Gesicht fiel, und sie schien zu finden, wonach sie gesucht hatte. Dann wandte sie sich erneut zu mir um und bedachte mich mit einem stillen Blick unerschütterlicher Zuneigung, der mich auf der Stelle beruhigte. Einen Moment lang war es mir ganz egal, ob ich meinen Vater kennenlernte oder nicht. » Du solltest hinfahren«, sagte Mutter schließlich. » Finde etwas über ihn heraus. Nicht um seinet-, sondern um deinetwillen.«
    » Du wiederholst dich.«
    » Ich weiß«, sagte sie, » aber es stimmt.«
    » Mir ist das nicht wichtig«, sagte ich, doch merkte ich ihr an, dass sie mir nicht glaubte.
    Mutter schüttelte den Kopf. » Bilde dir nicht ein, dass dein Vater einfach verschwunden ist und uns sitzen gelassen hat …«
    Das beleidigte mich – obwohl ich genau daran gedacht hatte. » Tu ich nicht.«
    » Hat er auch nicht.«
    » Ach?« Ich schaute sie an. » Und was hat er dann getan?«
    Sie musterte mein Gesicht, und ich sah, dass sie herauszufinden versuchte, ob ich nicht doch aufgebracht und verwirrt war, so wie sie es von Anfang an vermutet hatte. War ich nicht.

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