In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
das Orange des Türkenmohns und der Steingartenrosen zum Feuerrot und Purpur der Prunkwinde erstreckte. In manchen Jahren zerstörte der Wind diesen Effekt, und es hielten sich in den tiefsten Nischen der Kalksteinplatten nur Andeutungen und Ahnungen ihrer Farbtöne, doch obwohl Mutter so viel im Atelier arbeitete, war der Garten in diesem Jahr perfekt. Heute, da ihre Vorlieben sich geändert haben, wachsen bei uns mehr alpine Pflanzen, winziger Steinbrech von hohen Geröllfeldern und arktischer Mohn, der in kühlen Winkeln zwischen den Steinen gedeiht . Aber hin und wieder lässt sich auch noch der eine andere auffällige, selbst ausgesäte Exot blicken und hält sich einige Wochen, ehe er wieder in die Erde versinkt, um nie mehr gesehen zu werden. Samen können jahrelang in diesem Boden überdauern und die richtigen Bedingungen für ihre Entwicklung abwarten, weshalb Mutter und ich heute oft gemeinsam nach überraschenden Blüten Ausschau halten und uns beim Frühstück oder Morgenkaffee darauf aufmerksam machen. Das ist eine große Veränderung gegenüber früher, dabei könnte ich nicht genau sagen, wann sie eingesetzt hat, auch wenn ich mir im Nachhinein ziemlich sicher bin, dass sie irgendwas mit den Vorfällen in jenem Sommer zu tun hat. In dem Jahr fanden wir zusammen, obwohl es schien, als würden wir alles andere und alle anderen verlieren. Frank Verne, Kyrre Opdahl, die Freier. Auch das, was man bei mir für Unschuld hielt und bei ihr für Schönheit. In meinen Augen blieb sie allerdings schön wie eh und je, wenn auch ihre Schönheit nun, da sie wie eine echte Einsiedlerin lebt, von anderer Art ist. Eine private Schönheit, die dem nicht unähnlich ist, was ich für meine private Art gewonnener Unschuld halte.
Ich fand einen großen, breiten Felsbrocken am Ende einer Reihe von Steinen, die wie eine Bergkette en miniature von Ost nach West quer durch den Garten bis hinab zu den behauenen Steinen beim Birkenwald verlief. Es war der wärmste Platz im Garten, und ich saß oft hier, vor allem an Tagen, wenn es nach einem Schauer noch warm war und der Geruch nach frischem Regen und Lehm in der Luft hing. Mutter bewegte sich zwischen den Steinen, zupfte Unkraut aus dem Kies und hielt hin und wieder inne, um eine verblühte Blüte abzuknipsen. Zum Schutz vor der Sonne trug sie einen großen Schlapphut, der aussah, als würde er seit Generationen von der Mutter an die Tochter weitervererbt – noch eine Illusion, ich weiß, denn ich war dabei gewesen, als sie ihn sich in einem schicken Modeladen in London gekauft hatte, damals, auf jener Reise zu meinem zwölften Geburtstag. Aber so war es immer mit den Sachen, die Mutter gehörten. Sie wirkten älter, sobald sie von ihr benutzt wurden: Kleider, Bücher, Schmuck, sogar ihre Pinsel und Farbtuben nahmen eine schattenhafte, strohgelbe Patina an, wie Dinge, die man zu lange in der Sonne ließ. Es war eines der kleineren Wunder, die um sie herum geschahen, Wunder, die außer mir niemand bemerkte. Sie borgte sich eine meiner Blusen für einen Tag, und wenn ich sie zurückbekam, sah sie irgendwie anders aus, hatte einen Goldton im Gewebe, diesen Hauch von verflossener Zeit. Kam ein Kunstbuch mit der Post und roch nach Leim und neuem Papier, entdeckte ich es eine Woche später auf dem Küchentisch, auf subtile Weise derart verändert, dass es aussah, als läge es bereits seit Jahrzehnten dort.
Ich wusste nicht, wie ich das Gespräch beginnen sollte, das ich mit ihr führen musste, also tat ich, was ich damals meist tat: Ich blieb einen Moment in bedeutungsvolles Schweigen gehüllt sitzen, dann begann ich ohne Umschweife. Mutter war daran gewöhnt. Meist fand sie es amüsant, was ich ebenfalls wusste, doch auch das machte keinen Unterschied. Ich gehe immer noch so vor, gelegentlich, weil ich einfach nicht gut darin bin, um den heißen Brei herumzureden. » Weißt du noch, wie ich dich vor Jahren gefragt habe, ob du meinen Vater geliebt hast?«
Sie blickte von ihrer Arbeit auf und betrachtete mich mit einem argwöhnischen Lächeln. » Das weiß ich noch«, erwiderte sie dann und schien noch etwas sagen zu wollen, also wartete ich einen Augenblick, doch es kam nichts mehr. Sie richtete sich auf und legte bedächtig, ja übertrieben sorgfältig die Hacke auf den nächstgrößeren Stein. Dann schenkte sie mir, immer noch lächelnd, ihre volle Aufmerksamkeit. Nun war es ein ermunterndes, wenn auch vielleicht kein einladendes Lächeln. Sie war bereit, sich anzuhören, was ich
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