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In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten

Titel: In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Burnside
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Wasser hüpfen zu lassen, doch versank der Stein mit einem lauten, etwas vulgär klingenden Plumpsen. Ryvold lachte über sich.
    Aus Höflichkeit stimmte ich in sein Lachen ein. Ich wollte mir auch einen Kiesel suchen und ihn halb über die Bucht schleudern, fürchtete aber, dass Ryvold, wenn ich es tat und mir der Wurf gelang, glauben könnte, ich wollte ihn vorführen. » Ich bin mir nicht sicher, ob ich das verstehe …«
    » Nun«, fuhr er fort, » es ist seltsam. Es gibt viele Theorien über den Ursprung der Malerei. Die Griechen glaubten, sie entspringe einem um eine Schattenkontur gezogenen Strich, den man zieht, wenn jemand geht, den man liebt, damit man später etwas hat, das an ihn erinnert. Alberti ist der Einzige, der diese Entdeckung Narziss zuschreibt.« Er bückte sich, um einen weiteren Kiesel aufzuheben. » Also«, sagte er dann, » warum Narziss?« Er stellte die Frage und bückte sich erneut, um einen besseren Wurfwinkel zu erzielen – seinem Ton merkte ich an, wie wichtig ihm das war. Das mochte lächerlich sein, trotzdem gefiel es mir. Ich fand es altmodisch, so als befolgte man eine nur noch undeutlich erkennbare Tradition. Er holte aus und warf den Stein – und diesmal hüpfte er fünf-, vielleicht sechsmal über das Wasser, ehe er unterging, leise, irgendwo weit draußen. Ryvold richtete sich auf und sah dem Stein mit unverhohlenem Stolz nach. Dann wandte er sich zu mir um. » Und? Was denken Sie?«
    Ich dachte gar nichts, doch schien es plötzlich wichtig, die Frage ebenso ernst zu nehmen, wie er es tat. » Nun, Narziss verliebte sich in sein eigenes Spiegelbild …«
    Ryvold nickte, dann widersprach er mir. » Ja, aber er wusste nicht, dass es sein Spiegelbild war. Zumindest anfangs nicht. Ovid erklärt ziemlich ausführlich, Narziss habe erst nicht mal geahnt, dass er sich selbst sah. Er liebte, was er sah, und begriff erst später, dass er selbst es war, den er liebte. Er sah sich im Teich, zusammen mit all dem Übrigen, dem Himmel, den Bäumen, der Welt um ihn herum. Und vielleicht war er deshalb so glücklich – er hatte geglaubt, allein zu sein, eine Welt zu sehen, die von ihm getrennt war, eine Welt anderer Dinge, plötzlich aber erkennt er, dass er selbst in dieser Welt ist. Er ist real. Zuvor hatte er nicht gewusst, dass er real war …«
    Ich schüttelte den Kopf. » Darüber weiß ich nichts. Es kommt mir ein bisschen weit hergeholt vor.«
    Er nickte. » Natürlich, aber nur deshalb, weil wir die Geschichte von Narziss stets für eine Geschichte jugendlicher Eitelkeit und Selbstliebe gehalten haben. Nur darf man nicht vergessen, dass es Narziss war, der Echo abwies, weil sie ihm stets wiederholte, was er gerade erst gesagt hatte. Sie war ständig mit ihm einer Meinung – was doch die ideale Frau für jemanden sein müsste, der in sich selbst verliebt ist –, aber davon wollte Narziss nichts wissen.« Er griff sich einen neuen Kiesel, einen großen, flachen, fast schwarzen Stein, und ließ ihn über das Wasser hüpfen – und nun, da es ihm gelungen war, fühlte ich mich frei, es ihm gleichzutun. So führten wir unser absurdes Gespräch weiter und ließen Steine über den Fjord springen.
    » Na ja«, sagte ich, » vielleicht will er Echo nicht, weil er zu viel von sich selbst hält.« Ich erinnerte mich an die Geschichte; Mutter hatte sie mir vor Jahren vorgelesen, und wir hatten auch in der Schule darüber geredet, uns aber an die übliche, psychoanalytische Deutung gehalten. » Vielleicht weist er sie zurück, weil er auf jemand Besseren wartet …«
    » Und wer sollte das sein?«
    » Er selbst.«
    Ryvold lachte. » Aber das kam später. Als er den schönen jungen Mann sieht und sich verliebt, ohne zu wissen, dass er selbst dieser Mann ist. Anfangs weiß er nicht, wer das ist, findet die Wahrheit jedoch später heraus – was jedem anderen gewiss peinlich gewesen wäre. Jedem, der nicht so allein war. Und erst als er die Wahrheit entdeckt und sieht, dass sein Ich ein Objekt in der Welt ist so wie alle anderen Objekte auch, wird er zum Maler. Denn zum ersten Mal ist er Teil der Welt, und Kunst ist seine Möglichkeit, sich dies zu bestätigen. Eine Möglichkeit auszudrücken, dass er in der Welt ist, in ihr und von ihr. Echo, die ihm die eigenen Worte nachspricht – das war nur ein trauriger Witz, eine Parodie. Jetzt ist er jedoch vom Unvorhersehbaren umgeben. Jetzt ist alles überraschend, also ist er nun natürlich auch sterblich. Wäre er getrennt von der Welt geblieben,

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