In hellen Sommernächten - Burnside, J: In hellen Sommernächten
doch löschte ich die Dateien nicht bloß um des Löschens willen, ich schickte ihrem Besitzer auch eine Nachricht. Dabei fühlte ich mich ziemlich ruhig und hatte mich unter Kontrolle. Erst als ich fertig war, merkte ich, dass ich weinte, große, unschöne Tränen, die mir übers Gesicht rollten und auf die Tastatur tropften, wo sie kurz glitzernd verharrten, ehe sie zwischen den Buchstaben zerrannen. Ich stand auf, wischte mir über die Augen und blieb einen Moment stehen, blickte hinaus auf den Malangenfjord. Es war kein Laut zu hören, keine Bewegung über dem Wasser zu sehen – zumindest anfangs nicht. Dann entdeckte ich die Seeschwalben, erst eine, dann noch eine, wie sie über den Wellen schwebten und nach Anzeichen von Leben Ausschau hielten. Ich schloss die Augen. Ich versuchte mir einzureden, dass ich nichts Verbrecherisches gesehen hatte, nicht einmal etwas Sexuelles, und dass es mich eigentlich nichts weiter anging. Schließlich hatte er mich nicht angefasst, es waren nur Bilder. Da ich ihn kaum kannte, hatte er mich auch nicht enttäuscht; sein trauriges kleines Geheimnis konnte mir egal sein. Das redete ich mir ein, und ich versuchte, mich davon zu überzeugen, ehe ich mich umdrehte und aus der Hytte rannte. Die Tür ließ ich weit offen, damit Martin Crosbie wusste, dass jemand während seiner Abwesenheit hier gewesen und sein Geheimnis kein Geheimnis mehr war.
***
Die folgenden Tage waren trist und wolkenverhangen. Das Land lag still da, und der Himmel war von einem kühlen, verwaschenen Grau, weshalb man meinen konnte, der Sommer ginge jeden Augenblick zu Ende, nur war es nicht kalt, und der Regen hörte meist rasch wieder auf, ideales Wetter also zum Wandern. An Tagen wie diesen entschieden sich nur wenige Leute für Spaziergänge am Strand oder über die Wiesen, lieber besuchten sie Freunde und saßen am Küchentisch, tranken Kaffee und unterhielten sich. Nun, da Frank Verne abgereist und das Wetter umgeschlagen war, ließ Mutter sich kaum noch blicken. Kam sie zu den Mahlzeiten oder auf einen Kaffee aus ihrem Atelier, redete sie weder über meinen Vater noch über die Briefe, tat, was sie zu tun hatte, in nahezu vollständigem Schweigen, und machte sich wieder an die Arbeit. Mich kümmerte das nicht. Ich hatte es endlich aufgegeben zu fragen, was aus mir werden sollte – meine vermeintliche Zukunft kam mir plötzlich wie ein besonders perfider Trick vor, auf den ich allzu lange hereingefallen war –, und ich richtete mich auf einen langen, einsamen Sommer ein, in dem ich den Flug der Seeschwalben beobachteten und mit einem Buch oder mit meinem Fernglas auf dem Treppenabsatz sitzen würde, während die Welt um mich herum ihren Lauf nahm. Ich gab mir größte Mühe, nicht an Martin Crosbie zu denken – auch wenn ich rückblickend sehe, dass diese Veränderung irgendwie mit dem zusammenhing, was ich über ihn herausfand. Natürlich sagte ich mir immer wieder, dass es nichts mit mir zu tun hatte, wenn er junge Mädchen fotografierte und die Bilder auf seinem Computer speicherte. Ich sagte mir, dass es kein Verbrechen war. Er war kein echter Perverser wie jene, über die man in der Zeitung las, kein Kinderschänder, wie man sie aus abschreckenden Erzählungen kannte; er war nur ein Fantast. Außerdem schienen die Mädchen in seiner Sammlung alle in ihren späten Teenagerjahren zu sein, was hieß, dass er zumindest dem Buchstaben des Gesetzes nach nichts Unrechtes tat. Mir gefiel nicht, dass er Fotos von mir besaß, Fotos, in die ich nicht eingewilligt hatte, aber daraus konnte ich ihm kaum einen Vorwurf machen, hatte ich mich doch ähnlich gegenüber vielen von Kyrres Sommergästen verhalten. Dass ich seine Bilder anders fand – meine dienten schließlich bloß Beobachtungszwecken –, bedeutete nicht, dass ich es über mich brachte, ihn deswegen zur Rede zu stellen. Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich es wollte. Was er tat, hatte nichts mit mir zu tun – selbst wenn ich im Nachhinein feststellen musste, dass die Bilder für mich etwas verändert hatten. Mir war, als hätte ich etwas verlegt; das beunruhigte mich – und doch war mir zugleich, als wäre ich von einem unsichtbaren Einfluss befreit, der mir seit Wochen, seit den Vorbereitungen auf die Abschlussprüfungen, zu schaffen gemacht hatte.
Frank Verne war halb um die Welt weit fort, zurück bei seinen Abgabeterminen in New York oder wo auch immer er herkam, und das Haus war wieder friedlich, doch hielt ich es drinnen nicht aus. Ich
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