In ihrem Blut: Thriller (German Edition)
Verzweiflung. »Gehen wir rein. Ich koch Ihnen einen Tee.«
Beim Verlassen des Wohnzimmers rief Bonnington Simon und Terry ein Tschüs zu.
Sheila folgte ihm durch den Flur.
»Ich komme dann später und hole die Jungs ab«, sagte er.
Sie zögerte kurz. Man hörte neuerdings so viel über Perverse. Aber dann ermahnte sie sich, sich nicht lächerlich zu machen. Sie hatte wegen der letzten Ereignisse bloß kein Vertrauen mehr in andere Menschen, das war alles.
Bonnington sah auf die Uhr.
»Dieser Termin ist wichtig. Es geht um ›Keine Macht den Drogen‹.«
Sheila sah, dass es ihm ernst war.
»Also dann bis um fünf.« Er berührte ihren Arm. »Denken Sie an das, was ich gesagt habe. Nehmen Sie sich Zeit für sich, Sheila.«
»Klar doch. Danke, Daryl. Bis dann.«
Sheila sah ihm nach, als er ging. Ihr Mann saß zehn Jahre ab. Daryl hatte gesagt, für die Jungs wäre ein frühzeitiges Einschreiten von Vorteil. Als ob sie das Dealen mit Drogen von ihrem Vater geerbt hätten.
»Alles hängt zusammen«, hatte Daryl gesagt. Er meinte es gut, aber manchmal war er ein bisschen sonderbar.
Sie schloss die Tür und hängte die Kette ein.
Dann kreischten Bremsen, gefolgt von einem Übelkeit erregenden Knall. Es überlief sie kalt, doch gleich darauf wurde ihr klar, dass es nur das Spiel war.
5
George Lazenby knallte die Tür zur Praxis hinter sich zu und machte sich auf den Weg zu seinem täglichen Spaziergang durch den Victoriapark, der ihn direkt zum Gasthaus King George führte. Er musste sich für das nachmittägliche Treffen mit den örtlichen Vertrauensärzten vorbereiten, die wie er Süchtige betreuten.
Es war ein richtig unfreundlicher Wintertag, sogar die Enten bibberten. Zweifellos ein Wetter für Portwein mit Zitrone. Natürlich nur aus medizinischen Gründen.
Eine Stunde später fing er Bonningtons Blick auf, als sie im Eingang des alten Rathauses zusammenstießen, wo das Treffen stattfand. Bestimmt eine Reaktion auf seine leichte Alkoholfahne. Bonnington war stets höflich, aber Lazenby verabscheute jegliche Bevormundung. Er bekam Bonningtons leisen, bedauernden Seufzer mit. Das machte Lazenby wütend und brachte ihn aus der Fassung, denn die Ironie war ihm durchaus bewusst: Er sollte über Sucht diskutieren, dabei hatte er selbst einen Schwips.
»Na, bereit zum Angriff, 007?«, erkundigte sich Bonnington freundlich.
Lazenby grunzte nur als Antwort. Er gab sich keinerlei Mühe, seine Abneigung gegen den ernsten Sozialpädagogen zu verbergen, diesen verdammten Gutmenschen. Bonningtons glatte Haut, seine langen blonden Fransen und die strahlend blauen Augen konnten vielleicht manche Leute bezirzen, aber Lazenby fand sein Lächeln kalt und gekünstelt.
Er konnte auch Bonningtons viel zu vertraulichen Gebrauch seines Spitznamens nicht ausstehen. Er wusste, dass die Anspielung witzig sein sollte. Ihm hing der Bauch über den Gürtel, sein schlaffer Schnurrbart war nikotinverfärbt, und seinem Hemd konnte man oft ansehen, was er zum Frühstück gehabt hatte. Ihm fehlte jegliches Charisma. Egal, sein Namensvetter hatte nur ein einziges Mal den Bond gespielt, und zwar 1969. Den Spitznamen hatten ihm seine Patienten verpasst, was einiges über ihr und sein Alter aussagte. Er war kein gewöhnlicher Hausarzt.
Die Vorsitzende des Vereins, eine Akademikerin mit einem Doktor in Semiotik von Unfall- und Notsignalen, winkte Lazenby und Bonnington zu, dass sie sich rechts und links neben sie setzen sollten. Sie leierte das Protokoll der letzten Sitzung herunter und kam dann zu ihren einführenden Worten. Lazenbys Blick schweifte hoch zu der Besuchergalerie. Da saßen die üblichen Obdachlosen auf der Suche nach Wärme, aber dann blieb sein Blick an einer großen Frau in einem abgetragenen Burberry-Trenchcoat hängen, die ziellos in den Raum starrte. Sie wirkte sehr traurig.
Lazenby blätterte in seinen Notizen. Die lange, unrühmliche Geschichte der Betäubungsmittel in England fesselte den guten Doktor. Das war sein Spezialthema, falls er jemals in einer dieser Fernsehshows auftreten sollte. Opium war das Mittel gewesen, mit dem England seinerzeit China zum Handel gezwungen hatte, damals, als die Chinesen noch so klug gewesen waren und den Westen zum Teufel geschickt hatten. Die Engländer pflanzten Opium in Indien an und exportierten es nach China im Austausch gegen eine andere, von den Briten bevorzugte Droge: Tee. Als die Chinesen Einwände erhoben, weil sie nicht wollten, dass die Hälfte der Bevölkerung
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