In jenem Sommer in Spanien
Tagen handelte.
Halbherzig hatte sie sich noch einzureden versucht, es sei besser, wenn man nicht an der Vergangenheit rührte und sie ihr Geheimnis für sich behielt. Schließlich war Gabriel verlobt und würde bald die Frau heiraten, die er liebte. Überstürzt hatte sie dann ihren Job gekündigt, um davonzulaufen und sich später mit den Folgen auseinanderzusetzen. Aber ihre Gedanken waren immer wieder zu den nackten Tatsachen zurückgekehrt: Luke hatte ein Recht darauf, seinen Vater kennenzulernen, auch wenn die Situation alles andere als ideal war.
Inzwischen wand sich der Kleine in ihren Armen und wollte unbedingt herausfinden, wer der Fremde war.
„Wie war’s im Kindergarten?“, versuchte Alex, ihn abzulenken. „Und wie du wieder aussiehst!“ Genau wie Gabriel. Erst jetzt wurde ihr die erstaunliche Ähnlichkeit zwischen den beiden bewusst. Das gleiche Haar, die gleichen dunklen Augen und der gleiche olivfarbene Teint. Selbst das Lächeln und die winzigen Grübchen, die sich dann zeigten, waren identisch. Alex’ Herz schlug höher, und sie spürte eine starke, überwältigende Liebe für ihren Sohn, den es unter allen Umständen zu beschützen galt.
„Ich werde Luke jetzt baden und ins Bett bringen“, sagte sie ruhig. „Du kannst gehen, wenn du willst, oder in der Küche auf mich warten. In einer halben Stunde bin ich wieder bei dir.“
Unmöglich hätte Gabriel jetzt gehen können. Während er sich schon die Konsequenzen der neuen Situation ausmalte, begriff er die Tragweite dennoch nicht wirklich: Er war Vater – und die Situation völlig verfahren. Die Vaterschaft anzuzweifeln kam ihm überhaupt nicht in den Sinn. Natürlich hätte er einen DNA-Test fordern können, aber die Ähnlichkeit war so frappierend, dass man sich den auch sparen konnte. Der Junge sah genauso aus wie er im Alter von viereinhalb.
Nachdem Alex über die schmale Treppe im ersten Stock verschwunden war, blieb Gabriel eine Weile wie angewurzelt stehen. Von oben hörte er Geräusche, dann ging er langsam in die Küche. Das Leben, wie er es damals in jenem Sommer gekannt hatte, war längst vorbei, trotzdem musste er sich jetzt mit den Folgen auseinandersetzen.
Als er sich daraufhin in Alex’ Haus umsah, geschah das unter einem gänzlich neuen Gesichtspunkt: Er hatte ein Kind, und das wurde unter Bedingungen großgezogen, die, wenn auch nicht total unmöglich, doch hart an der Grenze waren. Er spürte, wie sich Verärgerung in ihm breitmachte, und es kostete ihn größte Willensanstrengung, dagegen anzugehen.
All die großen und kleinen Dinge, die auf die Anwesenheit eines Kindes in diesem Haushalt hinwiesen, brannten sich ihm regelrecht ein. Auf einem der Küchenstühle befand sich eine Sitzerhöhung, und im Abtropfregal über der Spüle stand Plastikgeschirr. Gabriel ging zum Kühlschrank und betrachtete die Kinderzeichnungen, die mit Magneten wahllos an der Tür befestigt waren: Bilder von einer glücklichen Familie, die offenbar keine Vaterfigur kannte.
Da war also kein neuer Mann in Alex’ Leben. Als sie sagte, dass es da jemanden gab, meinte sie ihren Sohn. Seinen Sohn! Gabriel erkannte kaum noch, was auf den merkwürdig unproportionierten Bildern dargestellt war. Vor seinem geistigen Auge sah er vor allem seinem Sohn, der ihn betrachtet hatte wie einen Fremden.
Dabei gingen ihm tausend Fragen durch den Kopf, und er konnte Alex’ Rückkehr kaum erwarten.
3. KAPITEL
Alex hegte keinen Zweifel, dass Gabriel noch da war, als sie vierzig Minuten später die Treppe hinunterging. Luke hatte ihre Anspannung gespürt und war ganz aufgedreht gewesen. Sie musste ihm eine Geschichte nach der anderen vorlesen. Und am Ende luchste er ihr noch das Versprechen ab, dass er am nächsten Tag ein Eis bekäme, wenn er endlich die Augen zumachte.
Nachdem er nun eingeschlafen war und nicht mehr als Puffer zwischen ihr und Gabriel dienen konnte, fühlte sich Alex schutzlos und verletzlich. Doch dann rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie kein Teenager mehr war, der sich von einem Mann wie Gabriel beeindrucken ließ. Seit damals hatte sie viele schwierige Situationen in ihrem Leben gemeistert. Sie hatte ein Kind bekommen, sich als alleinerziehende Mutter behauptet und war von ihrer Heimat Irland nach London gezogen, um Arbeit zu finden. Sie mochte sich vor Gabriels Reaktion fürchten, aber sie würde einem Gespräch mit ihm nicht aus dem Weg gehen.
Als sie ihn dann aber in ihrer Küche sitzen sah, sank ihr schlagartig wieder der Mut.
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