In jenem Sommer in Spanien
Er hatte den Stuhl zur Tür gedreht, damit er Alex beim Hereinkommen sofort bemerkte – wie ein Henker. Neben ihm auf dem Tisch stand ein halb leeres Glas Orangensaft.
„Möchtest du vielleicht etwas Warmes trinken“, versuchte Alex die angespannte Atmosphäre aufzulockern. „Oder noch einen Saft?“
„Wie wär’s mit einem Whiskey oder Gin? Ich brauche dringend etwas Stärkeres.“ Auch Gabriel war aufgewühlt. Etwas, das er sonst unter allen Umständen zu vermeiden suchte, weil sich ein Problem nicht lösen ließ, wenn man emotional darauf reagierte.
„Ich habe Wein da, nichts Besonderes. Mehr kann ich dir leider nicht anbieten.“
Gabriel nickte. Alex schenkte ihnen beiden ein Glas ein und schlug vor, dass sie sich ins Wohnzimmer setzten. Auf dem Weg dahin schwieg Gabriel, und das war beinah noch schlimmer, als wenn er sie angeschrien hätte.
„Wann hattest du denn vor, mir von dem Jungen zu erzählen?“, fragte er, nachdem sie sich gesetzt hatten. „Oder hättest du es auch weiterhin für dich behalten?“
Anstatt zu antworten, trank Alex einen großen Schluck Wein und sah nachdenklich vor sich hin. Als Gabriel seine Frage wiederholte, zuckte sie regelrecht zusammen, antwortete aber immer noch nicht. Also versuchte er es anders. „Wann hast du denn festgestellt, dass du schwanger bist?“
Kinder waren für Gabriel immer etwas Abstraktes gewesen. Natürlich hatte er irgendwann welche haben wollen. Aber mit Cristobel? Als Mutter seiner Kinder hatte er sie sich noch nie vorgestellt. Hätte man ihn nach dem Grund gefragt, hätte er wahrscheinlich geantwortet, dass er einfach nicht so kinderlieb war. Aber da er nun wusste, dass er seit fast fünf Jahren einen Sohn hatte, war er außer sich darüber, dass man ihm den Jungen so lange vorenthalten hatte. Ob während dieser Zeit ein anderer Mann in Alex’ Leben gewesen war? Bestimmt!
„Und, antwortest du mir jetzt, oder soll ich deine Gedanken lesen?“
„Du machst mich nervös.“
„Das geschieht dir recht.“
„Wieso das denn?“, fragte sie entrüstet. „Du bist doch aus meinem Leben verschwunden, weil du dich nicht an eine Ausländerin binden wolltest. Du hast gelogen, was deine Identität betrifft, sodass ich dich nicht finden konnte, nachdem ich festgestellt hatte, dass ich schwanger bin.“
Aufgebracht stand Alex auf, ging zum Fenster und lehnte sich gegen das Fensterbrett. Wenn ihr Gabriel so nah war, konnte sie kaum denken und kam sich vor, als sei sie wieder achtzehn. Dass sie sich einmal von ihren Gefühlen hatte lenken lassen, war vielleicht zu entschuldigen, aber ein zweites Mal durfte ihr das nicht passieren. Sie wusste noch genau, wie ihr allmählich klar geworden war, dass sie ihre Periode schon lange nicht mehr gehabt hatte, auch wenn sie immer unregelmäßig kam. Wie schrecklich sie sich nach dem positiven Schwangerschaftstest gefühlt hatte – als würde eine Welt zusammenbrechen. Auch das, was danach kam, war kein Zuckerschlecken gewesen.
„Ich war schon fast im vierten Monat, als ich es entdeckte. Da befand ich mich längst wieder in Großbritannien und besuchte die Universität. Nach meiner Rückkehr aus Spanien dachte ich eigentlich, mein Leben würde ganz normal weitergehen …“
Gabriel war die Sache unangenehm. Er hatte Fehler gemacht, wenn auch nicht absichtlich, und die musste er jetzt wieder in Ordnung bringen.
Alex setzte sich seufzend auf den Sessel ihm gegenüber. Sie konnte Gabriel nicht in die Augen sehen und betrachtete stattdessen die Blumen auf dem Sofabezug. Die Möbel waren ein Geschenk ihrer Eltern. Auch zum Hauskauf hatten sie ihr etwas dazu gegeben. Sie waren da gewesen, als sie Hilfe gebraucht hatte. Nicht dieser Kerl, der von heute auf morgen gegangen war, ohne eine Adresse zu hinterlassen.
„Ich habe versucht, dich zu erreichen, aber das war natürlich unmöglich“, sagte sie schließlich verbittert. „Ich habe in dem Hotel nachgefragt, in dem du angeblich gearbeitet hast. Aber dort hatte man noch nie von einem Lucio gehört. Ich habe dich beschrieben, aber natürlich kam keiner auf die Idee, dass ich nach dem neuen, superreichen Besitzer suchen könnte.“
„Niemand hat diese Situation voraussehen können.“
„Wir hätten besser verhüten sollen“, entgegnete sie. Die Pille war nie etwas für Alex gewesen, und manchmal waren die Gefühle einfach mit ihnen durchgegangen … Irrtümlicherweise hatte Alex angenommen, dass sie wegen ihrer unregelmäßigen Periode auch weniger schnell
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