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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Chaplin-Film. Die Fotografen wichen ein kleines Stück zurück. Einige der Journalisten schauten jetzt auf die Uhr. Einer vom Dagbladet, den Yngvar Stubø kannte, gähnte laut und hemmungslos. Er fauchte einen Fotografen an, bevor er zu einem im Parkverbot stehenden Saab hinüberschlurfte. Er stieg ein. Der Wagen aber blieb stehen.
    Yngvar Stubø zog den Vorhang zu und drehte sich zum Zimmer um.
    »Herrgott, Hermansen, dieser arme Wicht hat doch keiner Fliege was zuleide getan!«
    »Und wer behauptet, daß unser Kindesentführer unbedingt vorbestraft sein muß?«
    Hermansen schneuzte sich in die Finger und fluchte.
    »Davon rede ich nicht.«
    »Wovon redest du dann, zum Teufel? Da steht so ein Kerl am ersten Tatort, vier Stunden nach dem Verschwinden eines weiteren Kindes, in Tarnklamotten, daß man denken könnte, der will beim CIA Karriere machen, und wichst sich einen ab und stöhnt dabei den Namen der Kleinen! Und jetzt sitzt er hier und kann nicht erklären, was er am Donnerstag, dem 4.   Mai, als Emilie Selbu verschwunden ist, oder am Mittwoch, dem 10.   Mai, als Kim entführt wurde, so getrieben hat. Er kann sich verdammte Scheiße nicht mal daran erinnern, wo er heute nachmittag um fünf Uhr war!«
    »Das liegt ganz einfach daran, daß er überhaupt nichts erklären kann«, sagte Yngvar Stubø müde. »Der Mann ist ein Idiot. Und das kannst du fast wörtlich nehmen. Auf jeden Fall ist er psychisch weit zurückgeblieben. Und außer sich vor Angst, Hermansen.«
    Hermansen setzte eine verdreckte Tasse an den Mund. Der Gestank von durch Streß verursachtem Schweiß hing feucht und schwer in der Luft. Yngvar wußte nicht genau, von wem er stammte.
    »Er ist Kraftfahrer von Beruf«, brummte Hermansen. »Kann also kein kompletter Trottel sein. Macht Lieferfahrten. Und er ist vorbestraft. Mit nicht weniger als …«
    Er griff zu einem Ordner und riß ein Blatt heraus.
    »Fünf Geldbußen und zwei Verurteilungen wegen Sittlichkeitsdelikten.«
    Yngvar Stubø achtete nicht auf ihn. Wieder schaute er verstohlen zu den Presseleuten hinaus. Es waren nicht mehr ganz so viele. Er strich sich über den Nasenrücken und versuchte auszurechnen, wie spät es jetzt an der Ostküste der USA wohl war.
    »Exhibitionismus«, seufzte er tief, ohne Hermansen anzusehen. »Der Mann ist als Exhibitionist verhaftet worden. Das ist alles. Er ist nicht der, den wir suchen. Leider.«
    »EXHIBITIONISMUS.«
    Yngvar versuchte, neutral zu klingen. Das war unmöglich. Dieses Wort trug in sich die Verachtung der Tat, die es beschrieb, es konnte nur höhnisch ausgespuckt werden. Der Kamouflagemann war zu einem Haufen Textilien geschmolzen. Der Schweiß strömte nur so. Die Schultern des Mannes waren so schmal, daß die Ärmel bis weit über seine Hände fielen. Um seinen Hals hing eine Armschlinge, die er jedoch nicht benutzte. Sein Hosenboden hing ihm fast zwischen den Knien.
    »Sechsundfünfzig Jahre«, sagte Yngvar Stubø langsam. »Stimmt das?«
    Der Mann gab keine Antwort. Yngvar zog einen Stuhl zu ihm hinüber und setzte sich. Er stützte die Ellbogen auf die Knie und versuchte, trotz des Gestanks von Urin und altem Schweiß nicht die Nase zu rümpfen. Diesmal wußte er immerhin, von wem der Gestank kam.
    »Hör mal«, sagte er leise. »Darf ich dich Laffen nennen? Du wirst doch Laffen genannt, oder?«
    Ein kurzes Nicken zeugte davon, daß der Mann immerhin hören konnte.
    »Laffen«, Stubø lächelte. »Ich heiße Yngvar. Das war ja ein anstrengender Abend für dich.«
    Noch ein schwaches Nicken.
    »Wir bringen das schon alles in Ordnung. Ich brauche nur kurz ein paar Auskünfte. Okay?«
    Noch ein Nicken, fast unmerklich diesmal.
    »Weißt du noch, wo du festgenommen worden bist? Wo diese beiden Männer … wo sie dich gefunden haben?«
    Der Mann reagierte nicht. Seine Augen, das wurde aus der Nähe deutlich, lagen wie zwei schwarze Kugeln in seinem schmalen Schädel. Yngvar legte dem Mann vorsichtig eine Hand aufs Knie, doch auch darauf folgte keinerlei Reaktion.
    »Du fährst Auto, habe ich gehört.«
    »Ford Escort Baujahr ’91. Blaumetallic. 1,6-Liter-Motor, aber frisiert. Stereoanlage hat 11.490   Kronen gekostet. Schalensitze und Spoiler. Alles selber eingebaut.«
    Die Stimme schnarrte gewaltig. Yngvar hatte das Gefühl, Geld in eine alte Musikbox gesteckt zu haben, vor allem, als der Mann sagte: »Selber eingebaut. Schalensitze und Spoiler.«
    »Schön.«
    »Ich hab nix getan.«
    »Warum warst du denn da?«
    »Einfach so. Ich hab

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