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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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ich mich in der Rolle der guten Fee gesehen. Der Fee, die alles Unrecht bereinigt. Ich wollte herkommen und dir das erzählen, was du ohnehin schon weißt: Du warst unschuldig. Du bist unschuldig. Ich bestätige es dir, ich komme den weiten Weg aus Norwegen, und du mußt … dankbar sein! Ich wünsche Dankbarkeit, zum Henker!
    » Ich erwarte wirklich gar nichts«, sagte sie leise. »Wenn Sie wollen, dann gehe ich wieder.«
    Aksel lächelte. Seine Zähne waren gleichmäßig und grau und paßten nicht in sein Gesicht. Jemand schien irgendwo einen unbenutzten Mund ausgeschnitten und ihn an einer Stelle festgenäht zu haben, an der er einfach nichts zu suchen hatte. Aber er lächelte und legte die Hände vor sich auf den Tisch.
    »Ich habe mir vorgestellt, wie es wohl wäre …«
    Er suchte ein Wort. Inger Johanne wußte nicht so recht, ob sie ihm helfen sollte. Die Pause dauerte lange.
    »… Genugtuung zu erfahren«, sagte Inger Johanne dann.
    »Genau. Genugtuung.«
    Er schaute in sein leeres Bierglas. Inger Johanne winkte um Nachschub. Sie hatte tausend Fragen, und ihr fiel keine einzige ein.
    »Warum«, sagte sie dann, ohne zu wissen, was sie fragen wollte. »Wissen Sie eigentlich, daß die Presse damals vor der Urteilsverkündung ziemlich kritisch war? Wissen Sie, daß mehrere Journalisten sich echauffiert … sich über den Staatsanwalt und die Zeugen lustig gemacht haben, die gegen Sie aufgerufen wurden?«
    »Nein.«
    Das Lächeln war verschwunden, der Stirnfransenvorhang senkte sich wieder. Der Mann wirkte trotzdem nicht aggressiv. Und auch nicht neugierig. Seine Stimme war einfach tonlos. Vielleicht lag es daran, daß er das Norwegische nicht mehr gewohnt war. Vielleicht riß er sich auch gewaltig zusammen, um überhaupt hinnehmen zu können, was sie da erzählte.
    »Ich durfte doch keine Zeitungen lesen.«
    »Aber später. Sie müssen das doch erfahren haben, von anderen, von Kumpels im Knast, von …«
    »Ich hatte im Knast keine Kumpels. Es war kein sonderlich … friendly place.«
    » Wollte denn keiner von diesen Journalisten mit Ihnen sprechen? Ich habe die Zeitungsausschnitte mitgebracht, Sie können sie sich ansehen, und für mich geht daraus hervor, daß auf jeden Fall zwei Reporter nach der Urteilsverkündung versucht haben müssen, zu Ihnen Kontakt aufzunehmen. Ich habe versucht, diese kritischen Journalisten ausfindig zu machen, aber leider leben sie beide nicht mehr. Wissen Sie noch, ob sie versucht haben, mit Ihnen zu sprechen?«
    Das Bierglas war wieder halb leer. Er ließ den Zeigefinger um den Glasrand wandern.
    »Das kann schon sein. Es ist so lange her. Ich dachte, alle … alle …«
    Du dachtest, alle seien dir übel gesinnt, dachte Inger Johanne. Du wolltest mit niemandem reden. Du hast dich einmauern lassen, in doppelter Hinsicht, und hast zu niemandem Vertrauen gehabt. Du darfst auch zu mir kein Vertrauen haben. Und nicht glauben, daß ich irgend etwas wiedergutmachen könnte. Dein Fall ist zu alt. Er wird nicht wieder aufgerollt werden. Ich bin nur neugierig. Ich möchte Fragen stellen. Ich möchte mir Notizen machen. In meiner Tasche habe ich einen Notizblock und ein Tonbandgerät. Wenn ich die herausziehe, dann gehst du vielleicht. Dann begreifst du endlich, daß ich hier meine eigenen Interessen verfolge.
    » Wie ich vorhin schon gesagt habe«, sie nickte zu seinem Bierglas hinüber, wollte er mehr? Er schüttelte den Kopf.
    »Ich arbeite also an der Universität. Und zwar an einem Projekt, bei dem ich vergleiche …«
    »Das haben Sie schon erzählt.«
    »Genau. Ich dachte nur … darf ich mir Notizen machen?«
    Eine dicke Frau knallte die Rechnung vor Aksel auf den Tisch. Inger Johanne riß sie ein wenig zu schnell an sich. Die Frau warf den Kopf zurück und stolzierte mit energischem Hüftschwung zur Küche, ohne sich auch nur einmal umzusehen. Aksels Miene verdüsterte sich.
    »Das übernehme ich«, sagte er. »Geben Sie mir die Rechnung.«
    »Nein, nein … lassen Sie mich … das wird erstattet … ich meine, ich habe Sie doch schließlich eingeladen!«
    » Give me that!«
    Sie ließ die Rechnung los. Die fiel zu Boden. Er hob sie auf. Dann zog er eine abgegriffene Brieftasche hervor und fing langsam an, die Scheine abzuzählen.
    »Vielleicht werde ich später mit Ihnen sprechen«, sagte er, ohne den Blick vom Geld zu heben. »Ich muß mir das erst überlegen. Wie lange bleiben Sie hier?«
    »Auf jeden Fall einige Tage.«
    »Einige Tage. Thirty-one, thirty-two.«
    Das

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