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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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kleinen Plastikvasen. Kinderzeichnungen flatterten leicht im Abendwind.
    Eine Gruppe von Teenies kam auf Rädern angefahren. Sie schrien und lachten, senkten ihre Stimmen jedoch, als sie den Blumen und Briefen auswichen. Eine Vierzehnjährige stellte den Fuß auf den Boden und wartete einige Sekunden, ehe sie laut und deutlich fluchte, den Kopf schüttelte und wütend hinter den anderen herjagte.
    Der Mann zog sich den Hut tiefer über die Augen. Seine andere Hand war auf dem Weg in seine Hose. Vielleicht sollte er sich noch ein Stück weiter vorwagen. Die Vorstellung, sich über die eigentliche Stelle zu beugen, den Ort, an dem Emilie überfallen, die Stelle, von der sie entführt worden war, ließ sein Genital wie Feuer brennen. Er verlor das Gleichgewicht und mußte sich mit der Hüfte gegen einen Baum stützen, um nicht zu fallen. Er stöhnte und biß sich in die Lippe.
    »Was zum Teufel machen Sie denn da?«
    Zwei Personen waren hinter ihn getreten. Sie waren aus dem Nichts gekommen, aus einem dichten Gestrüpp. Verdutzt fuhr er herum, noch immer mit seinem Glied in der Hand, es verwelkte zwischen seinen Fingern, und er versuchte zu lächeln.
    »Ni … nichts«, stotterte er hilflos.
    »Der … der wichst, ach du Scheiße!« Sie brauchten zwei Minuten, um ihn unschädlich zu machen. Und damit begnügten sie sich nicht. Als der paramilitärisch gekleidete Mann in die Wache taumelte, gestoßen von einer eben erst gegründeten Bürgerwehr, war sein rechtes Auge bereits blau und geschwollen. Seine Nase blutete, und einiges sprach dafür, daß sein Arm gebrochen war.
    Er sagte nichts, nicht einmal, als die Polizei fragte, ob er einen Arzt brauche.

23
    »Sind Sie sicher, daß wir nicht Englisch sprechen sollen?«
    Er schüttelte den Kopf. Zweimal hatte er anscheinend nicht verstanden, was sie sagte. Sie hatte sich wiederholt, in anderen, schlichteren Worten. Sie wußte jedoch nicht, ob das geholfen hatte. Seine Miene blieb unverändert. Er selbst sagte nur wenig.
    Aksel Seier hatte Filet mignon und ein Bier bestellt. Inger Johanne Vik begnügte sich mit einem Salat Cäsar und einem Glas Eiswasser. Sie waren die einzigen Gäste im The 400 Club, einer ländlichen Mischung aus Restaurant und Cafeteria,nur fünf Minuten von der Ocean Avenue entfernt. Aksel Seier war zu seinem Wagen gegangen, hatte aber auf Inger Johannes Drängen hin mit den Schultern gezuckt und sie zu Fuß begleitet. Es war zu spät zum Mittagessen und zu früh für das Abendmenü. In der Küche wurde nur auf halber Flamme gearbeitet. Ehe das Essen auf den Tisch kam, hatte Inger Johanne schon von Alvhild Sofienberg erzählt, der alten Dame, die einst solches Interesse an Aksel Seier entwickelt hatte, dann aber gezwungen worden war, die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sie hatte erzählt, wie Alvhild jetzt, viele Jahre später, feststellen wollte, warum er verurteilt und dann fast neun Jahre später so überraschend wieder freigelassen worden war. Am Ende, fast als bagatellisierenden Anhang, erklärte sie ihr eigenes Interesse an der Sache.
    Das Essen wurde serviert. Aksel Seier griff zu Messer und Gabel. Er aß langsam, kaute sorgfältig. Wieder ließ er seine Stirntolle über die Augen fallen. Das schien ein uralter Trick zu sein, die groben grauen Locken wurden zu einer Mauer, die sich zwischen ihn und seine Besucherin schob.
    Gleichgültig, dachte sie. Du wirkst gleichgültig. Warum bist du überhaupt mitgekommen? Warum hast du mich nicht vor die Tür gesetzt? Das hätte ich akzeptiert. Oder du hättest dir anhören können, was ich zu sagen habe, um dann danke und auf Wiedersehen zu sagen. Du kannst jetzt aufstehen. Du kannst aufessen, eine Gratismahlzeit aus einer Vergangenheit annehmen, die du vergessen und verborgen hast, und deiner Wege gehen. Das ist dein Recht. Du hast so viele Jahre gebraucht, um zu vergessen. Ich mache dich kaputt. Ich zerbreche dich. Geh doch.
    » Was soll ich denn jetzt sagen?«
    Das halbe Filet lag noch auf seinem Teller. Aksel schob die Messerklinge zwischen die Zinken der Gabel und leerte sein Bierglas. Dann ließ er sich auf seinem Stuhl zurücksinken und verschränkte die Arme vor der Brust.
    Ich erwarte eine Art von Begeisterung, dachte sie. Das ist absurd. Ich bin mir vorgekommen wie ein Engel, wie eine Botin, die wunderbare Kunde bringt. Ich erwarte … Was wünsche ich mir eigentlich? Von dem Moment an, als ich deine Geschichte gelesen habe … von dem Moment an, als mir aufging, daß Alvhild recht hat – habe

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