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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Zeit dauern. Es wäre nett, wenn sie sich inzwischen um seine Katze kümmern könnte.
    »Danke«, sagte er, und ihm fiel nicht einmal auf, daß er es auf norwegisch gesagt hatte.
    »Sorry, Sweetie, he’s gone.«
    Mrs.   Davis legte den Kopf schräg und setzte eine wahre Leichenbittermiene auf.
    » Left this morning, I’m afraid. For New Jersey, I think. Don’t know when he’ll be back. Might take weeks, you know.«
    Inger Johanne starrte die Katze an, die träge in den Armen der Frau ruhte und sich streicheln ließ. Ihre Augen waren beängstigend gelb, fast leuchtend. Ihr Blick war arrogant, als mache das Tier sich lustig über sie, einen Eindringling, der sich eingebildet hatte, Aksel werde auf der Treppe stehen, vor Aufregung und Neugier von einem Fuß auf den anderen treten, bereit, ihre Fragen zu beantworten, frisch rasiert und mit Kaffee auf dem Herd. Die Katze gähnte. Ihre kleinen Eckzähne leuchteten weiß, als ihre Augen zu zwei Strichen wurden, die tief im roten Fell zu verschwinden drohten. Inger Johanne machte kehrt und ging zu ihrem Auto.
    Das einzige, was ihr übrigblieb, war, ihre Visitenkarte zu hinterlegen. Für einen Moment spielte sie mit dem Gedanken, sie der kleinen Frau zu geben. Doch dann dachte sie an die unheimliche Katze und steuerte lieber Aksels Haus an. Schnell kritzelte sie eine Mitteilung auf die Rückseite und warf die Karte in den Briefkasten. Sicherheitshalber schob sie eine zweite in den Türspalt.
    » He seemed kind of upset, you know.«
    Die Frau war redselig. Sie kam hinter Inger Johanne her, noch immer mit der Katze auf dem Arm.
    » He’s not used to visitors. Not very friendly, actually. But his heart …«
    Die Katze ließ sich träge auf den Boden fallen. Die Frau schlug sich dramatisch an die Brust.
    » His heart is pure gold, I tell you: pure gold. How do you know him, sweety?«
    Inger Johanne lächelte abwesend, als habe sie die Frage nicht richtig verstanden. Natürlich müßte sie sich mit der alten Dame unterhalten. Die registrierte offenbar alles, was in dieser kleinen Seitenstraße vor sich ging. Trotzdem wich Inger Johanne aus und ging zu ihrem Auto. Sie war ärgerlich und zugleich erleichtert. Sie ärgerte sich darüber, daß sie im Restaurant nicht auf einer klaren Abmachung mit Aksel bestanden hatte. Es provozierte sie, daß er sie ausgetrickst hatte und einfach verschwunden war. Zugleich lag in seinem Verschwinden ja auch eine ehrliche Aussage. Inger Johanne war in Aksel Seiers Leben unerwünscht, ganz gleich, was sie zu erzählen haben mochte. Aksel Seier wollte seine Ruhe haben. Sie war frei.
    Es war inzwischen Donnerstag, der 25.   Mai, und sie konnte nach Hause fahren. Eigentlich müßte sie Alvhild anrufen. Als sie ins Auto stieg und zur Route 28 fuhr, beschloß sie, darauf zu verzichten. Sie hatte kaum etwas zu erzählen. Sie wußte nicht einmal mehr, was sie in Aksel Seiers kleinem Haus gesehen hatte, was so überraschend gewesen war, daß es ihr die halbe Nacht hindurch den Schlaf geraubt hatte.

28
    Ein Frachttaxi näherte sich dem Hochhaus. Es nieselte. Der Verkehr auf dem Ring 1 staute sich bei Ullevaal, weil ein Verkehrsunfall passiert war. Das Chaos hatte sich wie eine wütende Geschwulst ausgebreitet; das Frachttaxi hatte eine Stunde für eine Strecke gebraucht, die sich normalerweise in zwanzig Minuten bewältigen ließ. Endlich näherte es sich seinem Ziel. Der Fahrer hupte gereizt, weil ein anderes Taxi quer auf der Fahrbahn stand und den Verkehr blockierte. Ein junger Mann, der sich mit Gips und Krücken aus dem Taxi quälte, zeigte ihm den Finger und deutete wütend auf den fünfzehn Meter weiter vorn haltenden Polizeiwagen.
    »Ja, Scheiße«, brüllte er. »Siehst du nicht, daß die Straße gesperrt ist?«
    Das hatte gerade noch gefehlt. Verdammt, der Fahrer hatte nicht vor, das Paket den ganzen Weg zu diesem Hochhaus zu schleppen. Er war seit sieben Uhr morgens unterwegs. Außerdem war er erkältet. Er wollte Feierabend machen und das Wochenende genießen. Freitagnachmittage waren die Hölle. Er wollte dieses verdammte Paket abliefern und machen, daß er nach Hause kam. In die Falle kriechen. Ein Bier trinken und sich ein Video reinziehen. Wenn nur dieser Scheiß-Streifenwagen endlich abhauen würde. Obwohl er die Straße total versperrte, schien sich nicht gerade etwas Dramatisches abzuspielen. Zwei uniformierte Männer standen plaudernd davor, der eine rauchte und schaute auf die Uhr, als habe auch er schon brennendes Heimweh.

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