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In kalter Absicht

In kalter Absicht

Titel: In kalter Absicht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Holt
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Endlich konnte das Taxi drehen, nicht ohne dabei jedoch zwei Büsche auf dem Fußweg umzunieten. Der Fahrer des Frachttaxis ließ den Motor aufheulen und den Wagen langsam anrollen. Dabei kurbelte er das Fenster herunter.
    »He«, sagte der Polizist gereizt. »Hier geht’s nicht weiter.«
    »Will ja nur ein Paket abliefern.«
    »Das geht aber nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Das geht Sie eigentlich nichts an.«
    »So eine Scheiße …«
    Der Fahrer schlug sich an die Stirn.
    »Das ist doch mein Job! Ich hab hier ein Paket, ein verdammt großes Paket, und das soll ich abliefern, bei …«
    Er zeigte auf das Hochhaus und durchwühlte das Chaos auf dem Beifahrersitz. Eine halbvolle Limonadendose kippte aus einem Behälter am Armaturenbrett. Gelbe Flüssigkeit ergoß sich über den Boden. Die Stimme des Fahrers schlug ins Falsett um.
    »Da oben ist es. Lena Baardsen, Nummer 10 b, Aufgang 2. Würden Sie mir bitte erzählen, warum …«
    »Was haben Sie da gesagt?«
    Der andere Polizist beugte sich zu ihm herunter.
    »Ich habe um Instruktionen dafür gebeten, wie zum Teufel ich meine Arbeit tun soll, wenn …«
    »Für wen ist das Paket, haben Sie gesagt?«
    »Lena Baardsen, 10 b. Es ist …«
    »Steigen Sie aus.«
    »Aussteigen? Ich …«
    » Steigen Sie aus. Und zwar sofort!«
    Jetzt bekam der Fahrer Angst. Der jüngere Polizist hatte seine Zigarette fallen lassen und war zwei Meter zurückgegangen. Jetzt telefonierte er. Der Fahrer konnte zwar kein Wort verstehen, aber der Tonfall zeigte deutlich, daß die Lage ernst war. Der andere Uniformierte, ein Mann um die Vierzig mit gewaltigem Schnurrbart, packte energisch seinen Arm, als er es wagte, die Autotür zu öffnen. Er hob die Hände, als sei er bereits verhaftet.
    »Jetzt regt euch doch ab, zum Henker! Ich soll doch nur ein Paket abliefern. Ein Paket!«
    »Wo ist das?«
    »Wo das ist? Im Wagen natürlich. Es liegt hier hinten, wenn Sie …«
    »Die Schlüssel.«
    »Scheiße, der Laderaum ist offen, aber ich kann doch nicht alle Welt …«
    Der Polizist zeigte auf einen Punkt im Asphalt, etwa drei Meter vom Auto entfernt. Der Fahrer trottete dorthin und ließ die Hände langsam sinken.
    »Ich verlange Dienstnummer und Namen und alles«, sagte er wütend. »Ihr habt überhaupt kein Recht, hier …«
    Der Polizist achtete nicht auf ihn. Der Fahrer zuckte mit den Schultern. Es war jedenfalls nicht seine Schuld, wenn das Paket nicht ordnungsgemäß abgeliefert wurde. Darum sollte die Zentrale sich kümmern. Er fischte eine Zigarette hervor. Die wollte kein Feuer fangen. Regen und Wind hatten zugenommen. Er krümmte sich über die Flamme und formte mit den Händen einen Hohlraum. Dann richtete er sich plötzlich auf und erstarrte.
    »So eine Scheiße«, zischte er vor sich hin; die Zigarette fiel auf den Boden.
    Er würde gefeuert werden. Natürlich hätte er kehrtmachen müssen, als er den Streifenwagen entdeckte. Wäre er ein bißchen besser in Form gewesen, etwas weniger ausgehungert und erschöpft, dann hätte er unten auf der Straße sofort gedreht. Sicherheitshalber.
    Sie konnten ihn nicht feuern. Das hier war doch nur eine Bagatelle. Das erste Mal, könnte er sagen. Jedenfalls war er bisher noch nie erwischt worden. Deswegen konnte er doch nicht seinen Job verlieren! Die Polizisten steckten jetzt die Köpfe in den Laderaum, schienen das einzige Paket, das dort lag, jedoch nicht anzurühren, das allerletzte Paket für diesen Tag. Es war ziemlich groß, vielleicht an die hundertdreißig Zentimeter lang, und ziemlich schmal.
    »Ist es schwer?«
    Der Schnurrbärtige drehte sich zu ihm um.
    »Ja, ziemlich. Heben Sie es doch mal an.«
    Er versuchte jetzt freundlich zu sein. Vielleicht wollten sie sich das verdammte Paket nur ansehen. Es mit irgendeinem technischen Gerät abhorchen, oder was immer sie nun machten, um festzustellen, daß es sich nicht um eine Bombe handelte. Wenn er freundlich Rede und Antwort stand und sie nicht weiter störte, würden sie ihn sicher bald gehen lassen. Das Paket war ihm jetzt schnurz, das konnte er an der nächsten Straßenecke absetzen. Wenn sie ihn nur laufen ließen.
    Aber sie rührten das Paket nicht einmal an.
    Und sie hatten keine Meßgeräte.
    Statt dessen konnte der Fahrer Sirenen hören, die immer näher kamen. Als er endlich vier Streifenwagen und eine grüne Minna zählte, wußte er, daß er einen schrecklichen Fehler gemacht hatte. Etwas in ihm drängte zur Flucht; lauf, lauf wie der Teufel, denen geht es um das Paket,

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