In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
sie. »Das hat Ihnen gefallen, glaube ich.«
Er nickte. »Zumindest teilweise.«
Die Frau machte eine Pause. »Darf ich Ihnen eine persönliche Frage stellen?«
»Bitte sehr.«
»Wie heißen Sie?«
»Reacher«, sagte er.
»Ist das Ihr Vor- oder Ihr Nachname?«
»Die Leute nennen mich einfach nur Reacher.«
Wieder eine Pause. »Darf ich Ihnen noch eine persönliche Frage stellen?«
Er nickte.
»Haben Sie Leute umgebracht, Reacher? In der Army?«
Er nickte nochmals. »Ein paar.«
»Das ist im Grunde genommen der eigentliche Zweck der Army, stimmt’s?«, fragte sie.
»Wahrscheinlich«, antwortete er. »Im Grunde genommen.«
Sie schwieg wieder. Als ringe sie mit einer Entscheidung.
»In Pecos gibt’s ein Museum«, begann sie erneut. »Ein richtiges Wildwestmuseum. Es ist teils in einem alten Saloon, teils in dem alten Hotel nebenan eingerichtet. Dahinter liegt
Clay Allisons Grab. Haben Sie schon mal von Clay Allison gehört?«
Reacher schüttelte den Kopf.
»Er war als der ›Gentleman-Revolverheld‹ bekannt«, erklärte sie. »Er lebte im Ruhestand, aber dann ist er unter ein Getreidefuhrwerk gestürzt und seinen Verletzungen erlegen. Er hat einen hübschen Grabstein mit der Inschrift Robert Clay Allison, 1840-1887 bekommen. Ich habe ihn selbst gesehen. Und darunter steht noch: Er hat nie einen Mann erschossen, der nicht erschossen werden musste. Was halten Sie davon?«
»Das ist eine gute Grabinschrift, finde ich«, sagte Reacher.
»In einem Glaskasten hängt auch eine alte Zeitung«, sagte sie. »Aus Kansas City, glaube ich – mit einem Nachruf auf Clay Allison. Darin heißt es: Fest steht, dass viele seiner strengen Taten fürs Recht geschahen, wie er dieses Recht begriff. «
Der Cadillac raste weiter nach Süden.
»Ein schöner Nachruf«, meinte Reacher.
»Finden Sie?«
Er nickte. »Einen besseren kann man sich gar nicht wünschen.«
»Würden Sie auch gern einen Nachruf dieser Art bekommen?«
»Na ja, vielleicht noch nicht gleich«, meinte Reacher.
Die Schwarzhaarige lächelte wieder, diesmal entschuldigend. »Nein«, sagte sie, »natürlich nicht. Aber würden Sie sich gern für einen Nachruf dieser Art qualifizieren ? Für später, meine ich.«
»Ich könnte mir Schlimmeres vorstellen«, sagte er.
Sie schwieg.
»Wollen Sie mir nicht verraten, wohin wir unterwegs sind?«, fragte er.
»Auf dieser Straße, meinen Sie?«, sagte sie nervös.
»Nein, bei diesem Gespräch.«
Sie fuhr noch ein Stück weiter, dann nahm sie den Fuß vom Gaspedal und ließ den Wagen ausrollen. Als der Cadillac langsamer wurde, fuhr sie von der Straße aufs staubige Bankett. Der Straßenrand fiel zu einem Entwässerungsgraben hin ab, sodass der Wagen schräg nach rechts geneigt stehen blieb. Sie brachte den Schalthebel mit einer knappen Bewegung ihres schmalen Handgelenks in Parkstellung und ließ den Motor laufen und die Klimaanlage auf höchster Stufe eingeschaltet.
»Ich heiße Carmen Greer«, sagte sie. »Und ich brauche Ihre Hilfe.«
2
»Ich habe Sie nicht zufällig aufgelesen, wissen Sie«, sagte Carmen Greer.
Reacher war nach rechts gesackt und saß mit dem Rücken an die Beifahrertür gepresst. Der halb über den Straßenrand gekippte Cadillac hatte Schlagseite wie ein sinkendes Schiff. An der glatten Lederpolsterung fand Reacher nicht genug Halt, um sich hochziehen zu können. Die Frau war mit einer Hand am Lenkrad und der anderen an der Rückenlehne seines Sitzes über ihn gelehnt. Ihr Gesicht war keine dreißig Zentimeter von seinem entfernt. Reacher konnte seinen Ausdruck nicht deuten. Sie starrte an ihm vorbei in den staubigen Straßengraben.
»Glauben Sie, dass Sie von hier wieder wegkommen?«, fragte er.
Sie drehte den Kopf zur Seite und sah zur Straße hinauf. Die raue Asphaltdecke, über der Hitzewellen flimmerten, befand sich etwa auf einer Höhe mit der Unterkante ihres Fensterrahmens.
»Ich denke schon«, antwortete sie. »Ich hoffe es.«
»Das hoffe ich auch«, sagte er.
Sie starrte ihn nur an.
»Weshalb haben Sie mich also aufgelesen?«, fragte er.
»Was vermuten Sie?«
»Keine Ahnung«, erwiderte Reacher. »Ich dachte nur, ich hätte Glück gehabt. Vielleicht habe ich Sie für einen netten Menschen gehalten, der einem Fremden einen Gefallen tut.«
Die Frau schüttelte den Kopf. »Nein, ich war auf der Suche nach einem Kerl wie Ihnen.«
»Warum?«
»Ich habe bestimmt schon ein Dutzend Typen aufgelesen«, sagte sie. »Und ich habe ein paar hundert gesehen. Das war so
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