In letzter Sekunde - Child, L: In letzter Sekunde - Echo Burning/ Reacher 05
Straße: ein dunkel geteertes Holzhaus unter einem Blechdach, das inmitten eines riesigen Parkplatzes aus verbrannter Erde stand. An seiner Straßenfassade parkten mit den Motorhauben nach vorn zehn oder zwölf Pick-ups, die an Flugzeuge vor einem Terminal erinnerten. Und unmittelbar neben dem Eingang parkte der Streifenwagen des Sheriffs, als habe ihn jemand dort abgestellt und vergessen.
Josh holperte über den Parkplatz und reihte sich neben den anderen Fahrzeugen ein. In den Fenstern der Bar leuchteten Neonreklamen von Biermarken. Josh stellte den Motor ab. Steckte den Zündschlüssel ein. In der plötzlichen Stille konnte Reacher typische Bargeräusche hören: das Surren von Ventilatoren und Klimaanlagen, das Wummern einer Musikbox, lautes Stimmengewirr, das Klirren von Flaschen und Gläsern, das Klicken von Billardbällen. Das Lokal schien ziemlich gut besucht zu sein.
Josh und Billy stiegen aus. Auch Reacher verließ auf der Beifahrerseite das Auto und blieb mit dem Rücken zur Sonne stehen. Es war noch immer heiß.
»Okay«, sagte Billy. »Wir laden dich ein.«
Hinter der Eingangstür lag ein Vorraum mit einem altmodischen Münztelefon und an die Wand gekritzelten Telefonnummern. Dann kam eine zweite Tür mit gelb getöntem
Glaseinsatz, die in die eigentliche Bar führte. Billy stieß sie auf.
Ein Militärpolizist, der eine Bar betritt, ähnelt einem Hitter, der beim Baseball ans Schlagmal tritt. Für ihn ist sie ein Arbeitsplatz. Ungefähr neunzig Prozent aller Probleme, die es mit Soldaten gibt, treten in Bars auf. Gewährt man einem Haufen junger Männer, deren Ausbildung Aggressivität und Reaktionsvermögen fördert, ungehinderten Zugang zu Alkohol, ergänzt diese Kombination durch Rivalitäten zwischen verschiedenen Einheiten und die Anwesenheit von Frauen und ihren Ehemännern oder Freunden, sind Probleme fast unvermeidlich. Und genau wie der Schlagmann wachsam zur Batter’s Box geht und dabei das Innenfeld im Auge behält, das Außenfeld überblickt und alle Winkel und Entfernungen berechnet, konzentriert ein Militärpolizist sich auf sein Umfeld, wenn er eine Bar betritt. Als Erstes zählt er die Ausgänge. Im Allgemeinen gibt es drei: die Eingangstür, den Hinterausgang rückwärts neben den Toiletten und die hinter der Theke ins Büro führende Tür, an der Privat steht. Reacher stellte fest, dass es in der Longhorn Lounge alle drei Ausgänge gab. Ihre Fenster waren zu klein, um irgendjemandem nutzen zu können.
Als Nächstes begutachtet der Militärpolizist die Anwesenden und hält Ausschau nach Unruhestiftern. Wer verstummt und starrt ihn feindselig an? Wer benimmt sich herausfordernd? Im Longhorn war das niemand. In dem langen, niedrigen Raum hielten sich zwanzig bis fünfundzwanzig Leute auf – nur Männer, alle sonnengebräunt, schlank und in Jeans, keiner sonderlich an den Neuankömmlingen interessiert, wenn man von beiläufigen Blicken und einem gelegentlichen vertraulichen Nicken, das Billy und Josh galt, einmal absah. Vom Sheriff keine Spur. Aber an der Theke, vor der ein leerer Barhocker stand, entdeckte er eine benutzte Serviette und eine volle Flasche Bier. Vielleicht war das der Ehrenplatz.
Dann sieht der Militärpolizist sich nach Waffen um. Über der Theke hing ein alter Revolver, der mit Draht auf einer Holzplakette befestigt war, auf die jemand mit einem Lötkolben geschrieben hatte: Wir rufen nie die Notrufnummer an .
Bestimmt waren auch mehrere Gäste bewaffnet. Auf der Theke und dahinter standen viele langhalsige Flaschen, die Reacher aber keine Sorgen bereiteten. Als Waffen waren Flaschen nicht wirklich brauchbar. Außer im Film, wo sie aus Zuckerwatte hergestellt werden und Etiketts aus Seidenpapier erhalten. Eine richtige Flasche lässt sich nicht an der Tischkante abschlagen. Das Glas ist zu dick. Es kracht nur laut, wenn es die Kante trifft. Flaschen ließen sich vielleicht als Keulen benutzen, aber der Billardtisch machte ihm größere Sorgen. Er stand mitten im Raum, sein grüner Filz war mit harten Zelluloidbällen bedeckt. Vier Kerle mit Queues spielten gerade, und in einem Ständer an der Wand hingen etwa ein Dutzend weitere Billardstöcke. Nach einer Schrotflinte ist ein Queue die beste Bar-Waffe, die jemals erfunden wurde. Kurz genug, um handlich, lang genug, um nützlich zu sein, aus bestem Hartholz gedrechselt und zweckmäßigerweise mit Blei beschwert.
Die Luft war unnatürlich kühl und von Bierdunst, Rauch und Lärm erfüllt. Die Musikbox stand in
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