In Liebe, dein Mörder: Thriller (German Edition)
nach dem, was sein Herz schneller schlagen ließ. Sie war weder besonders sexy, noch strahlte sie jene Frische aus, die Vincent gelegentlich bei sehr jungen Frauen fand. Es war ihre Aura. Es war ihre schwer zu verbergende Trauer.
In dieser Seele, meinte Vincent zu wissen, konnte sich der eine Satz verbergen, das letzte Urteil, der letzte Beweis für eine spirituell intellektuelle Denkweise, die allumfassende Antwort.
Beim Nachtisch fragte er: »Warum tun Sie sich das an?«
Lisas Kopf schnellte hoch.
»Verstehen Sie mich bitte nicht falsch«, winkte Vincent ab. »Sie machen nicht den Eindruck einer Frau, die ihren Job liebt.«
Er spürte, dass Lisa zwischen Zorn und Hilflosigkeit schwankte. So war es stets, wenn das Gegenüber mit etwas Überraschendem konfrontierte wurde.
»Sie ... sind sehr offen«, flüsterte sie. Sie rieb die Kuppen von Zeige- und Mittelfinger mit der Daumenfläche. Unsicherheit. »Und ich glaube, dass geht Sie nichts an. Dafür kennen wir uns nicht gut genug.«
Vincent zog ein ernsthaftes Gesicht, in dem sich eine Entschuldigung spiegelte, doch er sprach sie nicht aus. »Sie sind eine erstaunliche Frau. Ich habe viel mit Zeitungsleuten zu tun und viel mit Frauen, aber bei Ihnen ...« Er ließ die Worte über der Tischplatte schweben. Sollte sie den Satz selbst beenden, falls ihre Phantasie dazu ausreichte, woran Vincent nicht zweifelte.
Lisa reckte sich und schob das Kinn vor. »Sie sicherten mir ein Interview zu. Nun ist eine Stunde vergangen, wir haben über das Wetter und Kinofilme geredet, aber von Ihnen weiß ich noch nichts.«
»Dann werde ich meine Vere inbarung einhalten, Frau Armond, obwohl ich glaube, dass Mr Google Ihnen schon alles gesagt hat.«
»Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich das Gespräch mitschneide?«
Er schüttelte den Kopf, während sie einen Digitalrekorder auf die makellose Tischdecke legte. Der Kellner goss ihnen Weißwein nach, und Vincent sah sofort, wie schnell und ohne Genuss Lisa trank. Das hatte er sich gedacht. Dunkle Schatten unter den Augen der Frau, rote Wangen und fahrige Handbewegungen sprachen für sich.
»Wie kam es zu Ihrem Erfolg?«, fragte Lisa Armond. Ihre Stimme klang mechanisch. Sie tat ihren Job, aber vermutlich waren ihre Gedanken woanders, nahm Vincent an. Es wurde Zeit , sie zu erden.
Also begann er zu lügen.
»Ich bin das, was manche einen Überflieger nennen. Studium, beste Abschlüsse, zwei Jahre Harvard und stets ein Interesse an den schönen Dingen. Hiermit meine ich physische Dinge des alltäglichen Lebens. Ich studierte Design, Elektronik, Philosophie und manches nebenher, das mich befähigte, Altbekanntes zu verändern.«
»Wie Steve Jobs?«
»Er war ein Vorbild für mich. Obwohl viele ihm nachsagen, er sei ein harter, erbarmungsloser Mann gewesen, sollte man sein Genie sehen, seine Gabe, den Menschen einen Traum zu verkaufen, den er selbst geschaffen hatte. Mit dem iPod hat er die ganze Welt verändert.«
»Sind auch Sie ein ... erbarmungsloser Mann?«
»Geschäftspartner schätzen mich, weil ich auf altmodische Art verhandele. Für mich zählt ein Handschlag mehr, als ein Dutzend Verträge. Ich beschäftige nur wenige Anwälte. Wer mit mir ins Geschäft kommt, hat einen verlässlichen Partner. Genauso halte ich es mit meinen Mitarbeitern. Ich suche mir die Besten aus und respektiere sie. Ich bin niemand, der sich Versager an seine Seite holt, um zu brillieren, sie zu überstrahlen, vielmehr halte ich es für wichtig, befruchtet zu werden, von denen, die es besser wissen, zu lernen.«
»Erstaunlich selbstbewusst.«
»Danke, Frau Armond. Aber das ist zu viel der Ehre. Vermutlich hat das etwas mit meinem Elternhaus zu tun. Rechtschaffende Menschen, die Deutschland aufgebaut haben, von denen ich viel, wenn nicht sogar alles gelernt habe.«
Am liebsten hätte er gelacht. Diese Geschichte ging ihm reibungslos über die Lippen und jeder hatte sie bisher für bare Münze genommen. Warum auch nicht? Nichts mochten die Menschen lieber, als die Erfüllung ihrer Wahrnehmung. Vincent Padock war ein attraktiver Mann, das Abbild eines Menschen, der jedem und allem trotzte. Was er den Medien kundtat, konnte nur die Wahrheit sein. Wer es mit Vincent Padock zu tun hatte, besaß einen Freund fürs Leben.
Während er mechanisch redete, erinnerte er sich an die Wahrheit.
An jenen Mann, der dem 14jährigen Sohn den Schwanz in den Hintern geschoben hatte. Dabei keuchte er, wie glücklich er sei, dass sein Sohn ein Cherub sei.
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