In Liebe, dein Mörder: Thriller (German Edition)
Ein letzter Termin für die Morgenpost .
Lisa stemmte sich vom Tisch hoch und bemerkte, dass sie nichts gegessen hatte. Vor zwei Jahren hatte sie gegen ihr Übergewicht gekämpft, jetzt hatte sich das erledigt.
Noch einen Tag hatte sie bei der Morgenpost . Um elf Uhr würde sie den Unternehmer Vincent Padock zum Interview treffen. Sie würde sich sein vermutlich völlig nichtssagendes Gequatsche reinziehen und daraus einen Abschiedsartikel drechseln. Einen richtig guten Text, damit ihr Chefredakteur wusste, was er an ihr verlor, nachdem er sie auf die Morde angesetzt hatte, völlig ohne Empathie für ihr Leid und ihre geschundene Seele.
Sie sollte sich über den Unternehmer informieren. Schließlich war sie Profi, nicht wahr? Sie wusste, dass er erfolgreich war. Das war auch schon alles. Sie schaltete den Computer ein und öffnete Wikipedia.
Vincent Padock war ein attraktiver Mann. Das Foto war in schwarzweiß. Eine Mischung aus George Clooney und wer weiß wem. Ein richtiger ‚Ich-habe-mir-die-Zähne-geputzt‘-Typ. Ihn umgab die Aura des Erfolgs. Lisa wäre jede Wette eingegangen, dass die Ausstrahlung nicht unwesentlich zu seinem Erfolg beigetragen hatte. Falls er jetzt noch über die passende Stimme verfügte und nicht zwergwüchsig war, musste er der Erfinder des Charismas sein.
Es gab kaum einen Ehrenpreis, den er nicht erhalten hatte, und seine vernetzten Firmen waren durchweg erfolgreich. Bundesverdienstkreuz. Einladungen zum Bundespresseball. Unternehmer des Jahres. Ehrenkarten bei Bambi und Filmpreis. Titelseite Spiegel und Time . Politiker schätzten an ihm seine Loyalität zum Standort Deutschland, und man ging davon aus, dass er mit seinen Innovationen irgendwann den großen Schritt nach China machen würde.
Sein neues Datenkomprimierungsverfahren ließ sogar die Leute um Karl Heinz Brandenburger vom Fraunhofer-Institut, die Erfinder von MP 3, aufhorchen. Digitale Musik, die sich warm und lebendig anhörte wie von Vinyl. Dass dieser Mann überdies feinste HighFidelity-Komponenten konstruierte, deren Design besonders von den Japanern goutiert wurde, zeigte seine Vielseitigkeit. Ein Ästhet und Techniker. Eine letzte Meldung besagte, er habe für seine Autobiografie einen Vorschuss von 500.000 Euro erhalten. Vincent Padock wirkte nicht wie jemand, der sich einen Ghostwriter leisten musste. Seine dunklen Augen sprühten vor Intelligenz. Vielleicht würde das Interview doch nicht so langweilig werden.
Sie schaltete den PC aus und starrte auf den toten Desktop.
Sie spürte Tränen auf ihren Wangen.
Liebe Güte, nicht schon wieder weinen.
Wenn sie endlich den Sinn für alles fände, würde sie Trost erhalten. Sie erinnerte sich an ihre Studienzeit, als sie Satre gelesen hatte, der meinte, der Tod würde zum Sinn des Lebens, wie ein auflösender Akkord zum Sinn der Melodie. Dies waren die Momente, in denen alle Weinflaschen der Welt nicht halfen. Der Tod als Sinn?
Noch nicht!
Lisa Armond liebte das Leben nicht. Aber sie war gewillt, es zu überstehen, so oder so!
3
Nachdem Vincent Padock den ersten Blick auf Lisa Armond geworfen hatte, beschloss er, sie auszuführen.
Fand er sie hübsch? Nein!
Schön? Auch das nicht.
Interessant? Ja.
Was ihn an ihr faszinierte, waren die unbeantworteten Fragen in den dunklen, traurigen Augen und die schmale, fast ausgezehrt wirkende Figur, die der Außenwel t etwas asketisches vermittelte, von dem die Frau vermutlich selbst nicht ahnte.
Seine Sekretärin orderte einen Tisch im Paris-Moskau. In dem kleinen Bahnwärterhäuschen aus der Gründerzeit gingen nicht nur Bundestagsabgeordnete ein und aus, sondern auch Industrielle und Prominente von Funk und Film, die die vortreffliche regionale Küche goutierten.
Küchenchef Kettner ließ es sich nicht nehmen, Vincent Padock persönlich zu begrüßen und an seinen Lieblingsplatz zu führen. Man kannte sich, oder zumindest tat man so, denn niemand wusste, wo sich Paparazzi aufhielten oder die halbwegs seriösen Berichterstat ter der Tagespresse, die allzeit bereit Fotos machten, die durchaus werbewirksam waren – für beide Seiten!
Lisa Armond wirkte angespannt, doch Vincent wusste, wie er Frauen die Nervosität nahm, denn er war sich seiner männlichen Ausstrahlung bewusst. Meistens genügten ein Lächeln und freundliches Blinzeln.
Während sie speisten, beide Rinderrostbraten an einer erstklassigen Sauce, mit Kroketten und Rotkraut und Konversation betrieben, suchte Vincent bei der Journalistin
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