In Liebe, dein Mörder: Thriller (German Edition)
reagieren, damit man überlebte. Da machte es keinen Sinn, lange zu grübeln, denn dann hätte der Säbelzahntiger schon deinen Kopf abgerissen. Heute können wir uns auch erlauben, etwas länger nachzudenken. Andererseits kann Intuition auch hilfreich sein. Das nennt man Heuristik, junge Lady. Für viele Entscheidungen fehlen uns Informationen, also müssen wir Denkabkürzungen gehen. Eine schnelle Entscheidung aus dem Bauch, ein blitzartiges Wahrnehmen. Auf jeden Fall können solche Denkabkürzung, intuitive Annahmen, dem rationalen Denken manchmal überlegen sein. Ich glaube, du bist jemand, der die Antennen dafür hat, was wiederum mit deiner Hochsensibilität einher geht.«
HSP? Heuristik, oder wie das hieß? In ihrem Kopf schwirrte es. »Ich verstehe nicht, was du meinst«,
»Und das ist gut so.«
»Dann erkläre es mir.«
»Jetzt nicht«, sagte Vincent. »Zuvor möchte ich eine Antwort hören.«
»Ja?« Sie war kurz davor, zu winseln.
»Angenommen, ich wäre der Mörder ...«
Eine eisige Hand fuhr ihr über den Rücken. Spinnenfinger.
»Angenommen, ich wäre es. Würdest du mich der Polizei melden? Bedenke, dass deine Mutter dann wieder alleine wäre. Sie würde vermutlich komplett dem Alkohol verfallen, denn sie liebt mich, wie ich sie liebe. Was würdest du tun?«
Evas Mund schnappte auf und zu. Ihr Gesicht brannte wie Feuer.
»Würdest du mich der Polizei melden?«
21
Als Eva nach Hause kam, erwartete Lisa sie bereits. Sie bebte am ganzen Körper, so wütend war sie. Um sich zu beruhigen, hatte sie eine halbe Flasche Rotwein intus, was jedoch wenig nützte.
Wie üblich, warf Eva die Schultasche durch den Flur, doch heute mochte Lisa das nicht akzeptieren. Sie sprang auf und lief ihrer Tochter entgegen.
»Hebe sie auf!«, herrschte sie.
Mit großen Augen blickte Eva ihre Mutter an.
»Hebe sie auf und stelle sie an ihren Platz. Die Tasche hat Geld gekostet.«
»Mama ...«, flüsterte Eva erstaunt.
»Und dann komm rein. Du hast mir einiges zu erklären.«
»Aber Mama ...«
»Halt die Klappe, Kind. Halt einfach die Klappe und komm.«
Bevor Eva reagieren konnte, griff Lisa das Mädchen am Arm und zerrte es ins Wohnzimmer, wo auf dem Tisch ein bedrucktes Papier wartete. Sie stieß Eva nach vorne, sodass diese stolperte und schrie: »Was bedeutet das?«
Sofort erkannte Eva den Brief und fragte sich, wie er in Moms Hände gelangt war. Dann wirbelte sie herum. »Du spionierst in meinem Computer?«
»Einmal im Monat, seit vier Jahren. Ja. Ich sehe mir den Verlauf an, und weiß einigermaßen, auf welchen Seiten du dich rumtreibst, und welche Dokumente du verfasst. Keine Sorge, die meisten lese ich nicht, aber hier tauchte der Name Padock auf. Also?«
»Ihr mit eurer scheiß argwöhnischen Pädagogik. Was glaubst du eigentlich, was ich am Computer tue? So wenig Vertrauen hast du zu mir? Ich bin sechzehn! Und ich bin sogar noch Jungfrau!«
Lisa rannte zu Flasche und Glas, das sie schlampig füllte, sodass Wein auf den Teppich tröpfelte.
»Ich habe jetzt keine Zeit«, sagte Eva. Sie wollte gehen, aber Lisa stieß sie auf die Couch zurück.
»Und wage nicht, aufzustehen!«
»Mama , bitte ...«
»Erst eine Erklärung. Was hast du mit dem Brief bezweckt? Hast du ihn abgeschickt? Woher kommst du eigentlich so spät?«
»Das geht dich nichts an.«
»Und ob mich das etwas angeht. Wenn du diesen Brief weggeschickt hast, ist das ein Beweis, wie sehr du mir meine Liebe neidest. Lieber Gott, bist du wirklich so verrückt?«
»Ich?« Eva sprang auf und wirkte wie eine Furie. »Ich soll verrückt sein? Dann frage dich mal, wer hier verrückt ist. Du hast vergessen, dass du meine Mutter bist und hast nur noch ein Herz für diesen ... diesen Vincent.«
»Aber wir haben doch schön zusammen geschwommen, hatten Spaß«, gab Lisa hilflos naiv zurück.
»Und dann hast du ihn gefickt, und ich war alleine im ach so pompösen Gästezimmer. Wie es mir nach Vaters und Thomas’ Tod ging, interessierte dich nicht. Erst zwei Jahre Suff, danach deine sogenannte große Liebe, und jetzt ... jetzt ...«
»Was jetzt?«
»Nichts jetzt.«
»Wie kommst du auf so etwas?« Lisa wies auf den Brief. »Wie kommst du darauf, einen unbescholtenen Mann des Mordes zu bezichtigen?«
Eva setzte sich, und Tränen rannen über ihre Wangen. Trotzig wischte sie sie weg. »Hast du dich schon einmal gefragt, ob er zum Borchardt gekommen ist? Ob Vincent dort war?«
»Selbstverständlich war er das nicht. Er ist niemand, der auf
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