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In Liebe, Rachel

In Liebe, Rachel

Titel: In Liebe, Rachel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lisa Higgins
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zwölfjährige Mädchen von damals am dritten Sonntag jeden Monats. Sie hatte immer darauf geachtet, sich am Flussufer schmutzig zu machen und ihre zerlumptesten Kleider zu tragen. Dann hatte sie auf das Knirschen der Räder in der Kieseinfahrt gelauscht, das Zeichen, dass Tante Lauralee in ihrem blauen Pick-up eingetroffen war. Jo war immer sehr spät ins Wohnzimmer geschlurft, hatte ihre Tante durch ihren zu langen Pony hindurch böse angestarrt und insgeheim gehofft, dass diese den Blick lange genug von ihrer Uhr heben würde, um Jos Erscheinung wie aus einem Dickens-Roman überhaupt zu bemerken. Sie hoffte aus tiefstem Herzen, dass Tante Lauralee ihre Meinung ändern und Jo wieder mit auf die hübsche kleine Ranch nehmen würde, zu den vier wilden Cousins, die alles waren, was Jo an Familie noch hatte.
    Nein – es gab keinen Grund, nach Hause zu hasten.
    Grace blieb am Rand des Skateboardparks stehen, wo sie einer Gruppe von jungen Gothic-Nadelkissen dabei zuschaute, wie sie auf ihren Skateboards eine Querschnittlähmung riskierten. (»Sieh mal, Tante Jo, Psychopathen!«) Trotz der Mary Janes und des karierten Kleides glich das Mädchen seiner Mutter sehr, und Jo vermutete, dass nach dem heutigen Tag ein Skateboard den Weg auf Grace’ Chanukka-Wunschzettel finden würde. Da wandte sich Grace von den Skatern ab und ging zu den Schaukeln, wo just in diesem Augenblick eine frei wurde. Grace enterte sie sofort und forderte Jo lautstark auf, sie anzuschieben. Jo ließ nicht nach, bis Grace hoch durch die Luft schwang.
    Als sie einige Zeit später aus einem Taxi stolperten und in das Apartmentgebäude eilten, in dem sich Jos Wohnung befand, hatte sich die gelbe Schleife an Grace’ Hals gelöst, und sie hatte eine Laufmasche am Knie, doch ihre Wangen waren gerötet, und sie plapperte im Aufzug die ganze Zeit, bis er endlich im richtigen Stockwerk hielt. Jo litt inzwischen an heftigen Magenkrämpfen.
    Als sie die Tür zu ihrer Wohnung öffnete, löste sich Grace sofort von ihrer Seite.
    »Nana!«
    Mrs Braun war eine kräftige Frau, die sich nur langsam bewegen konnte. Als Grace sich auf sie stürzte, versuchte die ältere Frau mühsam, sich von der Couch zu erheben, doch da hatte Grace schon die Arme um sie geworfen. Mrs Braun zog das Kind liebevoll auf ihren Schoß.
    Ein scharfer Schmerz bohrte sich in Jos Herz.
    »Hallo, Mrs Braun, hallo, Jessie«, sagte sie und warf die Schlüssel in die Schale neben der Tür. »Sind wir zu spät? Wie lange seid ihr schon da?«
    »Nein, nein, ihr seid nicht zu spät.« Jessie erhob sich von ihrem Stuhl und schob die Hände in die Taschen ihrer Jeans. Sie wirkte knochig, und ihre Haare schrien geradezu nach einem Friseurbesuch. »Wir sind zu früh. Meine Tante wollte nicht länger warten. Sie war nervös wegen des Verkehrs. Sie sagte, dass es in diesem Teil der Stadt eine Stunde dauern kann, einen Parkplatz zu finden. Deine Freundin Sarah hat uns netterweise reingelassen.«
    Jo und Sarah wechselten einen Blick. Sarah saß in einer Ecke der Couch und zuckte mit den Schultern. Sie machte nach dem katastrophalen Treffen mit Colin in L.A. immer noch einen zerbrechlichen, aber zunehmend auch einen gelassenen Eindruck. »Ich habe Tee angeboten«, sagte sie, »aber dann stand ich zehn Minuten an deinem Herd und habe nicht kapiert, wie man ihn einschaltet.«
    »Er wird über eine elektronische Steuerung bedient«, antwortete Jo und hob Grace’ Hut vom Boden auf. »Ich schalte ihn gleich ein.«
    Mrs Braun hatte Grace ein Stück von sich fortgeschoben, um sie ausgiebig zu betrachten. Grace knöpfte ihren blauen Wollmantel auf, strich glättend mit der Hand über das rote Trägerkleid und wackelte in ihren Mary Janes mit den Zehen. Sie grinste Mrs Braun ins Gesicht und schmiegte sich dann wieder an sie.
    »Ihr wart also im Central Park?«, fragte Mrs Braun. »Und ihr seid zu einem Spielplatz mit einer Spiralrutsche gegangen? Und davor wart ihr zum Tee bei Madeline.« Sie drückte Grace enger an sich. »Dir geht es gut hier, oder, Gracie?«
    »Hey, bekomme ich auch eine Umarmung?« Jessie kniete sich auf den Boden und breitete die Arme aus. Grace rutschte vom Schoß ihrer Großmutter und stürzte sich auf ihre Tante. Jessie drückte sie fest an sich und begann dann einen Monolog in Kindersprache, von dem Jo wusste, dass sie so etwas niemals im Leben fertigbringen würde.
    »Und? Wie geht es meinem kleinen Miezemädchen, hm? Ich wette, du hast es Tante Jo nicht leichtgemacht. Hast

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