In Liebe, Rachel
ihr kamt.«
Jessie erstarrte.
»War nur ein Witz.« Jo nahm vier große Becher aus dem Schrank. »Obwohl, wenn ich auf die Therapeutin gehört hätte …«
»Therapeutin?«
Jo stellte die Tassen auf der Arbeitsfläche ab und öffnete die Besteckschublade, während sie überlegte, wie viel von der Wahrheit sie Jessie erzählen sollte. Ach verdammt! »Nach Gracies erstem ernsthaften Ausbruch war ich so schlau, mir professionelle Hilfe zu holen«, erklärte Jo.
»Ausbruch?«
»Wie bitte? Ist das bei euch etwa nie passiert? Hat sie nie ihre Nudeln über den Tisch geschleudert? Ist sie bei euch nie nachts im Schlaf durchs Haus marschiert?«
Jessie musterte plötzlich hochkonzentriert das Muster der glänzenden Granitarbeitsfläche.
»Die Psychiaterin hat gesagt, dass das wahrscheinlich schon seit Wochen so ging.« Jo stellte einen Löffel in jede Tasse und warf wieder einen Blick ins Wohnzimmer, wo Grace gerade in hohes, kreischendes Gelächter ausbrach. »Keine Angst, ich habe die Medikamente abgelehnt. Um Gracies willen. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob ich sie nicht doch noch brauchen kann.«
»Ein Kind großzuziehen ist Vollzeitarbeit«, murmelte Jessie, während ihr Blick durch die Küche mit den abgeklebten Kanten und abgedeckten Steckdosen glitt. »Ich kann mir nicht vorstellen, wie du das neben der Arbeit schaffen willst. Da hast du dir ganz schön viel aufgehalst.«
»Grace ist die Tochter meiner besten Freundin.« Jo nahm ein paar Teebeutel aus dem Schrank. »Und warum auch immer, Rachel hat sie mir anvertraut.«
Jessie strich sich eine Haarsträhne hinters Ohr und fuhr dann mit den Fingern über den abgerundeten Rand der Arbeitsplatte. Vor und zurück. Vor und zurück. »Es ist wirklich seltsam. Rachel hat von dir immer als einer Karrierefrau gesprochen, die keine Zeit für emotionale Bindungen hat.«
Jo wollte gerade antworten, als Grace’ erneutes hohes Gelächter sie innehalten ließ. Es klang nicht mehr so fröhlich wie vorher, sondern eher angespannt. Sarah und Jo wechselten einen Blick. Sarah hatte das Beben in Grace’ Stimme auch gehört, nämlich zwei Tage zuvor, kurz vor dem Ausbruch wegen der Zahnpasta.
Jo machte drei rasche Schritte ins Wohnzimmer und versuchte, die Situation einzuschätzen. Der Pinguin, der voller Erinnerungen steckte, war vermutlich der Grund für die Anspannung. Grace musste so schnell wie möglich abgelenkt werden.
»Hey, Kleines«, sagte Jo, »zeig deiner Großmutter doch mal dein Zimmer. Du kannst den Pinguin mit deinen Stoffhasen bekannt machen und dir dein Eloise-Outfit anziehen. Oder du zeigst deiner Grandma das Tinker-Bell-Kostüm von Halloween.«
Grace sprang vom Schoß ihrer Großmutter und packte sie an der Hand. »Los, Nana, ich zeige dir mein Zimmer. Ich habe einen eigenen Computer, nur einen kleinen, nicht so einen wie Tante Jo, aber ich kann damit Ping-A-Pig und Typing Torpedoes spielen.«
»Himmel, Jo«, sagte Mrs Braun, als sie sich mühsam von der Couch erhob, »es ist schon toll, was Sie für das Kind getan haben. Rufen Sie mich doch bitte, wenn der Tee fertig ist.«
Sarah beobachtete die Szene aufmerksam und tauschte dann einen weiteren bedeutungsvollen Blick mit Jo. Sie war während des Zahnpastazwischenfalls eine große Hilfe gewesen. Ihre ruhige Art hatte geholfen, Grace aus ihrem Wutanfall zu befreien, und Jo konnte sich nun vorstellen, dass Sarah im Flüchtlingscamp eine Oase der Gelassenheit war.
»Der Kaffee riecht gut, Jo.« Sarah schob sich die Kaschmirdecke, in die sie sich gehüllt hatte, von den Schultern und erhob sich von der Couch, um in die Küche zu gehen. »Und er ist so schnell fertig. Für uns im Camp ist Kaffee immer eine besondere Belohnung, weil die Zubereitung so lange dauert. Wir müssen die Bohnen mit Steinen mahlen.«
Jessie gab ein nervöses kleines Lachen von sich und wurde dann abrupt wieder ernst. »Das ist ein Witz, oder?«
Sarah setzte sich auf einen Barhocker, wobei ihr Holzperlenarmband klapperte. »Man braucht auch viel Feuerholz, um das Wasser zum Kochen zu bringen.«
»Achte auf deinen Geldbeutel, Jessie.« Jo stellte die Zuckerschale neben das Milchkännchen. »Wenn Sarah erst einmal mit ihren Geschichten anfängt, schreibst du ihr am Ende des Tages ganz sicher einen Scheck aus.«
»Oh, damit hätte ich keine Probleme.« Jessie zuckte mit den Schultern. »Leider würde er platzen, sobald er auf dem Tisch liegt.«
Jos Blick fiel auf eine Flasche im Glasschrank neben dem Herd. »Hey, Mädels!
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