In Liebe, Rachel
Sarah hatten ihre Schuhe ausgezogen und ihr Beileid ausgesprochen und waren dann durch ein Haus gegangen, in dem die Spiegel mit schwarzem Stoff verhängt waren, die Tische sich unter hartgekochten Eiern bogen und sich zahllose Freunde und Verwandte drängten, die sie nicht kannten. Jo rechnete die ganze Zeit damit, dass Rachel hinter einer Tür hervorsprang.
Hab ich euch!
Einmal, vor langer, langer Zeit, hatte Jo zwanzig Dollar gewettet, dass Snowboarden der Sport sein würde, der Rachel umbrachte – vor allem nach dem Skiunfall in Colorado, nach dem sie zwei Monate in einem Gipskorsett gelegen hatte. Kate hatte auf Fallschirmspringen gesetzt – was auch erklären würde, warum Rachel Kate in ein paar tausend Meter Höhe hinaufbefohlen hatte. Sarah, die schon immer das moralische und soziale Gewissen aller gewesen war, war verblüfft über diese Wette, bis Kate erklärte, dass es gutes Juju war, gegen das Überleben zu wetten.
Jo, Kate und Sarah hatten seit beinahe zwanzig Jahren, seit ihrem College-Abschluss, immer mit Rachels Tod gerechnet. Doch man kann nur eine gewisse Zeit unter dieser Anspannung leben. Nach einer Weile wurde ein ständiger Witz daraus, den man über knisternde Satellitenverbindungen austauschte.
»Hey, Rachel, bist du etwa noch am Leben?«
Doch Rachel war nicht auf eine der erwarteten Arten gestorben. Ihr schrecklicher letzter Kampf war das eine Abenteuer, das sie bis zum bitteren Ende geheim gehalten hatte. Vielleicht erschien ihr Tod deswegen so irreal. Genauso wie jetzt der Anblick von Kate Jansen, wie sie mit einem durchtrainierten Sahnestückchen auf dem Rücken in den Landebereich schlitterte.
Atemlos rannte Sarah über das Rollfeld, um sie in Empfang zu nehmen. Der selbst gefärbte braune Rock flatterte um ihre Beine. Jo griff durch das offene Autofenster, um ihr Mobiltelefon beiseitezuschieben, das von dem blechernen Refrain von »It’s Raining Men« erschüttert wurde, und eine Flasche Pfefferminzschnaps hervorzuziehen. Sie öffnete die Flasche, nahm einen kräftigen Schluck und verzog das Gesicht bei dem süßen Geschmack. Er erinnerte sie an Eislaufhallen und die Junior Highschool und den Jungen, von dem sie ihren ersten Kuss bekommen hatte, Lonnie Clyde Barkley.
Wenn doch nur eine von Rachels Anweisungen »Lass dich flachlegen!« gewesen wäre. Das wäre einfach gewesen. Jo hätte leicht jemanden in ihrem Blackberry-Adressverzeichnis finden können, und wenn da nichts herausgesprungen wäre, blieb immer noch der heiße Geschiedene in der Buchhaltung, der ihr schon länger schöne Augen machte. Er hatte seidenweiches dunkles Haar und einen Hintern zum Nüsseknacken. Sie war noch unentschieden, ob eine kleine Affäre die unausweichlichen Komplikationen wert war. Leider hatte Rachel es ihr nicht so leicht gemacht. Ihre Anweisungen für Jo waren einfach … unglaublich.
Jo folgte Sarah über das Rollfeld und schwenkte die Flasche mit dem Schnaps. Kate hakte sich von dem Muskelpaket los, und Sarah umarmte sie stürmisch. Kate sah aus, als hätte sie jemand gerade noch rechtzeitig von der Erdkante zurückgezogen, hatte gerötete Wangen und weit aufgerissene Augen. Sie stammelte unzusammenhängendes Zeug.
»Ich kann es nicht glauben … Oh, mein Gott … ich … ich kann’s einfach nicht …«
Als Jo Kate umarmte, spürte sie das wilde Hämmern des Herzens ihrer Freundin und bot ihr den Schnaps an. Kate riss die Flasche an sich und nahm den größten Schluck, den Jo sie je hatte trinken sehen – bis auf den einen erinnerungswürdigen Abend im Frühling ihres Abschlussjahres, als Kate sich nach dem Prüfungsstress so abgeschossen hatte, dass sie ihren eigenen BH auf dem Kopf trug und vom Dach ihres Wohnheims »The Hills Are Alive« gesungen hatte.
Kate schüttelte sich wie ein nasser Hund und gab Jo die Flasche zurück. Dann stieß sie einen Kenilworth-State-University-Rock-Climber’s-Jodler aus, den man wahrscheinlich bis nach Manhattan hören konnte. Der Prachtkerl im Sprunganzug grinste, als hätte er Kate gerade einen multiplen Orgasmus beschert.
Sarah tänzelte hin und her und versuchte, mehr aus Kate herauszubringen.
»Es war wie … schwerelos zu sein.« Schnaps lief Kate übers Kinn, doch sie wischte ihn nicht weg. »Der Wind hat mich getragen.«
»Na, kommen Sie.« Das Sahneschnittchen nahm Kate am Ellbogen und lenkte sie in Richtung Hangar. »Dann wollen wir Sie mal ausziehen.«
»Schätzchen, reden Sie doch nicht so«, murmelte Jo, während sie und
Weitere Kostenlose Bücher