In Liebe, Rachel
Oktoberlicht hinaus. Es war ein Tag, an dem Rachel mit dem Mountainbike über die Adirondack-Wege gebrettert wäre. »Ich arbeite in einem Büro. Mit Telefonen und Faxen und großen Zimmern, in denen du spielen kannst.«
»Habt ihr auch Computer?«
»Ganz viele, ja.«
»Bei Lots o’ Tots hatten sie die auch. Ich fand die Computer gut, aber sie haben mich überhaupt nicht damit spielen lassen.«
Jo überlegte fieberhaft. Gab es im Büro einen unbenutzten Computer? Und hatte er Spiele? Gab es irgendwo einen Laptop, den sie konfigurieren und auf dem sie ein paar Spiele installieren konnte?
»Ich hatte gerade die Maulwürfe erledigt«, erzählte Grace. »Ich hatte alle A-Maulwürfe und fast alle B-Maulwürfe, und ich war gerade an den C-Maulwürfen dran, als der Lehrer gesagt hat, es wäre genug. Und die C-Maulwürfe waren so lustig! Sie hatten lange Beine, und sie waren total schnell.«
Jo erhaschte einen Blick auf ein freies Taxi. Sie winkte und packte Grace’ Hand. »Nun, ich weiß einen wunderbaren Ort, wo wir genau das Spiel kaufen können, Grace, und dann werden wir es in meinem Büro installieren.«
Und ich kann vielleicht zumindest meinen Job retten.
J. C. Richards war eines der größten Spielwarengeschäfte der Stadt und residierte auf der Fifth Avenue. Jo war dort bereits einige Male gewesen, als sie Geschenke für die Kinder der Angestellten und für Kates Kinder gekauft hatte, doch wenn möglich hatte sie einen Assistenten hingeschickt. Denn der Riesenladen glich, wie heute auch, einem Irrenhaus voller kreischender, überzuckerter Kinder.
Ein Dschungel war offensichtlich das Dekorationsthema für das Erdgeschoss. Ein riesiger Affenbrotbaum wuchs aus der Mitte empor, gepflasterte Wege führten um seinen Stamm herum. Plüschpythons hingen von den Zweigen, bunte Vögel drängten sich zwischen den Seidenblättern. Affen schwangen sich an Lianen von einem Ast zum anderen, und eine fast drei Meter hohe Giraffe streckte ihren Hals, um an die grünen Zweige zu kommen. Aus versteckten Lautsprechern ertönten typische Dschungelgeräusche wie Vogelgezwitscher, Affengeschrei und das Brüllen eines Löwen, laut genug, um das Kreischen der Kinder zu übertönen.
Grace machte große Augen. »Wow …«
»Das ist das Paradies, nicht wahr, Kleine?« Jo ging neben ihr in die Hocke. »Und weißt du was? Heute ist dein Glückstag. Du darfst dir ein Spielzeug aussuchen – was immer du magst.«
»Egal was?«, kiekste das Mädchen.
»Egal was.«
Hallo, Giraffe!
Grace machte sich von Jo los und rannte zu dem tonnenschweren Nilpferd. Jo ging langsam hinter ihr her und fragte sich, wie sie es ins Taxi und in ihr Büro bringen sollte. Sie war sich nicht sicher, ob das Geschäft auch nach Hause lieferte. Doch als sie bei Grace angekommen war, rannte die schon zu dem Löwen und griff dann nach einer Schlange. Sie legte sie sich um den Hals wie eine, nun ja, Boa, riss sie sich wieder herunter und rannte in eine andere Richtung auf die Bauklötze zu. Dann zu den Chemiebaukästen.
Bitte, lieber Gott, davon bitte keinen.
Jo stellte sich vor, wie der Konferenzraum in Flammen aufging. Dann war Grace schon auf dem Weg zu den Actionfiguren, dann zu den Kinderkostümen, und dann entdeckte sie die Rolltreppe in den ersten Stock, die in eine ganz andere Welt aus Knetmasse und Plastikperlen und Lego und Computerspielen und unzähligen Puppen führte.
Sie fanden ein Computerspiel zum Lesenlernen, das laut der Systemanforderungen problemlos auf Jos Laptop laufen würde. Jo legte es in einen Einkaufskorb und erklärte Grace, dass es nicht als Spielzeug zählte, woraufhin das Mädchen zum nächsten Gang rannte. Jo nutzte die Gelegenheit, einen weiteren Anruf von Hector anzunehmen, musste sich allerdings ein Ohr zuhalten und versuchen, in dem ganzen Lärm nicht zu laut zu schreien. Sie erinnerte sich daran, dass sie am Abend zuvor einen heißen jungen kenianischen Sänger in einer Late-Night-Show im Fernsehen gesehen hatte. Man hatte ihn als den »schwarzen Frank Sinatra« angekündigt. Wer sagte denn, dass das Gesicht von
Mystery
eine Frau sein musste? Wäre das nicht der Clou schlechthin und würde das der Kampagne nicht viel mehr Aufmerksamkeit einbringen, wenn sie sich für einen Mann entschieden? Sie trug Hector auf, den Agenten des Kenianers ausfindig zu machen und ihm ein Angebot zu unterbreiten.
Als sie das Handy wieder in ihrer Tasche verstaute, stand Grace gerade an einem Tisch voller Eisenbahnschienen und magnetischer
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