In Liebe, Rachel
»Ist das für ihn?«
Kate blickte auf die Ranken, die sich bis zum Ringfinger ihrer linken Hand erstreckten. »Ja, ich habe es gestern auf dem Markt machen lassen.« Sie schloss enttäuscht die Tür und lehnte sich mit dem Rücken dagegen. »Sam hat eine tolle Hennakünstlerin für mich gefunden. Die Frau muss mindestens hundert Jahre alt gewesen sein.« Sie musterte Sarah von oben bis unten, von der steilen Falte zwischen ihren Brauen über ihre steifen Schultern bis zu dem zerknitterten Rock, der nachlässig auf ihren mädchenhaften Hüften saß. »Sam und ich wollten dich eigentlich mitnehmen, aber du hast so tief geschlafen, da mochte ich dich nicht wecken.«
»Du hast zu früh mit Wasser hantiert.« Sarah streifte ihre Umhängetasche aus Hanf ab und legte sie auf das Bett, auf dem sich schon ihr Rucksack und ein Paar Sandalen tummelten. »Es müsste eigentlich dunkler sein.«
»Ich weiß.« Unter der roten Seide trug Kate noch eine andere Bemalung, die dunkler war, die sie noch nicht gewaschen hatte: eine verführerisch geschwungene Schlange. Das Reptil wand sich um ihre Seite und erstreckte sich fast bis zu ihrem Schritt, das Maul weit geöffnet und die gespaltene Zunge nach unten deutend. »Bräute werden so bemalt, weißt du?« Kate schaute ihre unergründliche, mundfaule Freundin an. »Du solltest dir auch so ein Tattoo machen lassen, Sarah. Vielleicht für deine und Colins baldige … Verlobung?«
Sarah erstarrte über ihrem Rucksack, aus dem Kleidung hervorquoll. »Ich bin nicht Tess, Kate. Bemuttere jemand anderen.«
»Ich bemuttere dich nicht.« Kate stieß sich von der Tür ab und setzte sich auf ihr Bett. Die Seiten einer Zeitung flatterten zu Boden. »Okay, zugegeben, vielleicht wirkt es so. Immerhin habe ich die letzten Jahre nichts anderes getan. Aber im Ernst, Sarah, ich versuche nur, deine
Freundin
zu sein. Bin ich etwa nicht deshalb hier? Du verbringst so viel Zeit mit dem Kerl und bist gespannt wie eine Gitarrensaite. Was ist denn los? Hat er irgendetwas über seine Verlobte erzählt?«
Sarah riss sich den Rock mit mehr Nachdruck als nötig vom Körper. Ihr BH wurde nur von einem Haken zusammengehalten, und das Gummiband war in Auflösung begriffen.
»Ach, Sarah«, sagte Kate seufzend, als sich das Schweigen in die Länge zog. »Das ist gar nicht gut …«
»Kate, ich möchte jetzt wirklich nicht darüber reden.«
»Wie ist es denn«, bohrte Kate weiter, »mit einem Mann zu schlafen, der an eine andere Frau denkt?«
»Wir sprechen nicht über sie.« Sarah wühlte in ihrem Rucksack und zog einen Rock von der Farbe des Tropenhimmels hervor. »Wir reden nicht über die Staaten. Wir reden über Paraguay, über seine Konferenz und meine Arbeit in Burundi. Wir haben sowieso nicht viel Gelegenheit, uns zu unterhalten.«
»Heißer Sex lässt einen Kerl sofort verstummen.«
»Tatsächlich? Keine Ahnung.« Sarah warf den Rock auf ihr Bett und suchte nach einem passenden Oberteil. »Wir hatten in der ersten Nacht ›heißen Sex‹, und seither hat er mich kaum berührt.«
Kate war bestürzt. Das war doch nicht Sarahs Ernst! Soweit sie sich erinnern konnte, hatte es in den ersten fünf Jahren ihrer Beziehung keinen Tag gegeben, an dem Paul und sie nicht voller Gier übereinander hergefallen waren. Sie hatten die Hände einfach nicht voneinander lassen können.
Ihre Brüste wurden plötzlich schwer, ihre Lippen feucht und geschwollen.
Paul, komm zu mir!
»Weißt du, Kate, obwohl Jo anderer Meinung ist, dreht sich nicht alles um Sex.« Sarah knüllte den getragenen Rock zusammen und warf ihn in die Ecke des Zimmers, die für die Schmutzwäsche vorgesehen war. »Colin will mich in seinem Bett haben. Das hat er gesagt. Nachts kann es dann schon mal ein bisschen …« Sarah zog das Haargummi von ihrem Pferdeschwanz und schüttelte die Haare aus. Ihr Gesicht rötete sich, wie sich nur das sommersprossige Gesicht einer Pfarrerstochter röten konnte.
Kate verstand. »Er kämpft also dagegen an.«
»Wenn ich das nur wüsste.« Sarah griff nach den sauberen Kleidern und presste sie an ihre Brust. »Die Hutu machen es richtig. Sie bauen eine Hütte und bieten dem Vater ein paar Kühe und eine Ziege an. Das macht alles viel einfacher.«
Kate sprang zur Seite, als Sarah auf das Badezimmer zusteuerte. Als Colin Sarah das letzte Mal das Herz gebrochen hatte, hatte es anderthalb Jahre gedauert, bis sie sich einigermaßen davon erholte. Sarah hatte sechs Monate bei ihrer Familie in Vermont verbracht,
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