In Liebe verführt
an ihrer Lage würde das nichts ändern. Sie ließ die Hände sinken. Doch was war das für eine wichtige Unternehmung, die Ana und Cosimo miteinander vorhatten? Etwas, wofür die Zeit so streng eingehalten werden musste, dass das Schiff trotz der unfreiwilligen Passagierin nicht rasch nach Folkstone zurückfahren konnte?
Auch das war unwichtig für sie, beschloss sie. Es hatte wirklich nicht das Geringste mit ihr zu tun. Das Einzige, was für sie wichtig sein konnte, war, von diesem Schiff zu kommen. Und bis das möglich wurde, würde sie in der Kajüte bleiben und sich um nichts anderes kümmern. Sie wollte mit dem Kapitän dieses Schiffes nicht das Gleiche zu tun haben. Angesichts dieser Entscheidung beachtete sie die Halbstiefel nicht weiter und legte das Umschlagtuch weg, denn in der Kajüte war es angenehm warm. Dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz auf der gepolsterten Bank am Fenster und öffnete den leicht vom Wasser aufgeweichten Band von Mrs. Radcliffs Der Italiener .
Cosimo wurde aus seinen Gedanken aufgeschreckt, als Gus mit lautem Flügelgeflatter auf seiner Schulter landete. Cosimo wandte sich David Porter zu. »Wie geht es unserem Passagier, David?«
»Außer einer Beule ist ihr nichts passiert«, sagte David und lehnte sich neben ihm an die Reling. »Sie ist eine starke Frau… mit guten Nerven, vermute ich.«
»Wie kommst du denn auf die Idee?« Cosimo gab sich äußerlich desinteressiert, aber sein Freund durchschaute ihn.
David lächelte. »Im Allgemeinen würde eine Frau ihres Alters und ihrer Erziehung nicht nur in Ohnmacht fallen, wenn sie sich in einer solchen Lage befände, sondern hysterisch werden. Miss Barratt scheint diese Lage aber lediglich unangenehm zu finden.«
Cosimo nickte langsam. »Mir fiel ebenfalls ein gewisser Hang zum Widerstand bei ihr auf. Ablehnung war es in jedem Fall.«
»Kann man ihr das übel nehmen?«
»Nein«, gab ihm Cosimo Recht. Er lehnte sich mit dem Rücken an die Reling und sah nach oben zu einer kreisenden Möwe. »Du bist Ana noch nie begegnet, oder?«
»Das weißt du doch.« David sah den Kapitän mit gerunzelter Stirn an.
»Sie hat wirklich eine ungewöhnliche Ähnlichkeit mit Miss Barratt.« Sein Blick folgte dem segelnden Vogel über ihm.
Davids Stirnrunzeln vertiefte sich. »Ich weiß nicht, was der Hintergrund unserer Fahrt ist, Cosimo, aber ich nehme an, Ana hatte etwas damit zu tun.« Am Ende dieser Feststellung schien ein kleines Fragezeichen zu stehen.
»Richtig«, stellte Cosimo fest.
»Und was hat das mit der Ähnlichkeit zwischen ihr und unserem unfreiwilligen Passagier zu tun?«
»Wir setzen ein, was immer für uns von Nutzen sein kann, David.«
David schwieg für eine Weile. Er war in den letzten beinahe fünf Jahren häufig mit Cosimo gefahren und betrachtete ihn als Freund. Er wusste, was er tat, auch wenn sie nie darüber sprachen. Cosimo verriet den Leuten, die mit ihm segelten, nie irgendwelche Einzelheiten seiner jeweiligen Mission. Und obwohl David mehr als froh war, nichts Genaueres zu wissen, machte er sich keine Illusionen. Sein Freund stand im Dienste seines Vaterlandes, er war ein Freibeuter und wenn nötig sogar ein Attentäter. Doch obwohl er dies wusste, schauderte ihm vor Cosimos kühler, pragmatischer Einstellung.
Schließlich sagte er: »Du kannst doch nicht eine völlig fremde Frau für deine Zwecke benutzen… eine Frau, die dir zufällig über den Weg gelaufen ist, und das nur, weil es gerade so hübsch passt, Cosimo.« Eine vorwurfsvollere Bemerkung wäre zwischen ihnen beiden nicht möglich gewesen.
Cosimo öffnete die Handflächen in einer Geste von ›Was willst du denn?‹. »Wenn das Werkzeug willig ist und geschärft werden kann, dann sag mir einen einzigen guten Grund, warum ich es nicht benutzen sollte.«
David schüttelte den Kopf. »Du bist ein kalter Hund, Cosimo.«
»Das bestreite ich nicht.«
»Weißt du denn, was mit Ana geschehen ist?«, fragte David, obwohl er ahnte, dass Cosimo ihm darauf eventuell nicht antworten würde.
Ein Schatten überflog Cosimos Gesicht, und er wandte sich mit einem Ruck wieder dem Meer zu. »Nein, weiß ich nicht. Und ich wage nicht, es zu raten.« Dann fügte er so leise hinzu, dass David es kaum hörte: »Aber im Moment kann ich nichts tun, um ihr zu helfen.«
David zuckte zusammen über die Bedeutung hinter diesen Worten. Er spürte die besorgte Anspannung seines Freundes beinah wie eine Luftströmung. »Vielleicht bist du ja doch kein ganz so kalter
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